Verweise auf Autor Thomas Scheen

Putsch und Rebellion

Chaotische Situation auf beiden Seiten des Bürgerkriegs in Mali
Timbuktu: In der Hand von Islamisten?
Timbuktu: In der Hand von Islamisten? Bild von Emilio Labrador

Seit Freitag existiert ein neuer Staat – dies sehen zumindest die Rebellen im eroberten Norden Malis so, indem sie diesen zum eigenständigen Staat Azawad ausriefen. Dabei ist wenig über die Rebellen bekannt, kein Staat beabsichtigt bislang die Anerkennung Azawads. Auf beiden Seiten des Konflikts herrscht Chaos: Während das Militär im Süden gegen die Regierung putschte, besteht im Norden eine merkwürdige Allianz aus Tuareg-Milizen der MNLA und Salafisten der Aqim. Bei den Tuareg soll es sich um aus Libyen geflohene Milizen handeln, die unter Gaddafi dienten und vertrieben wurden. Diese haben sich darauf mit salafistischen Gruppen, die in der Sahara operieren, auf einen gemeinsamen Aufstand geeinigt. Insofern hat dieser Konflikt eine internationale Dimension. Im Süden putschte das Militär im Zuge des Aufstandes gegen die Regierung. Nun wurde die Rückkehr zur Demokratie nach heftigem internationalen Druck vereinbart.

Dominic Johnson erinnert in der taz an die Geschichte der Spannung zwischen Norden und Süden, zurückgehend auf die Zeit der Befreiung vom französischen Kolonialismus. Thomas Scheen schreibt in der FAZ über die Salafisten der Aqim, die aus einer algerischen Gruppe hervorgingen. Demnach bestand bis Ende 2011 ein Duldungsabkommen mit der Regierung in Mali, die an den Erpressungen aus Entführungen mitverdiente. Die Gruppe finanzierte sich auch durch Schmuggel und Drogenhandel. Der Westen befürchtet durch einen neuen Staat einen Rückzugsraum für die Al Qaida. Über die reellen Verhältnisse in Mali herrscht jedoch bislang Unklarheit.

Ein trockener Konflikt

Die Ursachen der Eskalation in Mali sind nebulös
Tuareg in Mali
Tuareg in Mali Bild von BBC World Service

Der westafrikanische Staat Mali grenzt an sechs Staaten und erstreckt sich von Algerien im Norden bis an die Elfenbeinküste im Süden. Während die Hauptstadt im Süden am legendären Niger-Fluß in der Feuchtsavanne liegt, geht im Norden Trockensavanne in Wüste über. Dementsprechend lebt die Bevölkerung im Süden überwiegen seßhaft und im Norden nomadisch.

So vielfältig die Lebensweisen in dem Land sind, die sich ähnlich wie in den benachbarten Staaten an der Vegetation orientieren, so unterschiedlich ist die Darstellung des schwelenden Konflikts: So sollen Tuareg, die als Söldner für Gaddafi aus Libyen zurückkehrten, zunächst in Konflikt mit Al-Qaida-Gruppen und darauf mit der Regierung gekommen sein. Die Tuareg-Rebellengruppe MNLA bezichtigt die Regierung des Genozids. Diese wiederum beschuldigt dagegen die Befreiungsbewegung für Azawad (MNLA) und die maghrebinische Al-Qaida (AQME) eines gezielten Massakers an Regierungssoldaten. Was nun genau geschehen ist, wird man aus dem unwegsamen Land, in dem eine Nachricht schon mal Wochen braucht, kaum erfahren. Klar ist nur: Die Konflikteskalation nähert sich einem Bürgerkrieg, das benachbarte Burkina Faso soll vermitteln. Die Region ist nicht nur von zahlreichen inneren Konflikten, sondern auch von starker Dürre betroffen. Ob der Klimawandel den Konflikt anheizt ist unklar; Aufstände der Tuareg gab es bereits in vergangenen Jahrzehnten.

»Projektionsfläche für alles, was schiefgeht«

Der Terror in Nigeria zeugt von inneren Zerwürfnissen
Trauer um die Opfer des Anschlags auf die UNO 2011
Trauer um die Opfer des Anschlags auf die UNO 2011 Bild von UN Nigeria

In den vergangenen Jahren erschütterte die islamistische Gruppierung Boko Haram das westafrikanische Nigeria mit zahlreichen Anschlägen. Diese richten sich gegen die Polizei und gegen Kirchen, aber auch gegen die UNO. Besonders im vergangenen und in diesem Jahr ist eine wachsende Zahl an Opfern zu beklagen. Die Gruppe agiert sehr geheim und ist daher schwer zu fassen. Thomas Scheen hat sich für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor Ort umgesehen. Der Hintergrund der Gruppe ist umstritten: Die Einen sehen die muslimischen Eliten im Norden hinter dem Terror, die mit der Machtverteilung im Land unzufrieden sind. Die Anderen meinen, die Eliten im Süden wollen die Abspaltung des Nordens betreiben, um die Erdölschätze allein für sich nutzen zu können. Wieder Andere sehen das Netzwerk Al-Qaida hinter der Gruppe. Dagegen spricht die verbreitete Einschätzung, es handele sich nicht um einen religiösen, sondern um einen Machtkonflikt. Wie auch immer – die widersprechenden Sichtweisen zeugen von einem gespaltenen Staat, der von inneren Konflikten zerrissen ist:

»Boko Haram ist zu einer Projektionsfläche geworden für alles, was schiefgeht in diesem Land«, erklärt Sule Bello, der an der Universität von Kano Geschichte lehrt. »Jeder hat eine Meinung zu Boko Haram: die Leute im Süden, die den Norden beschuldigen; die Leute im Norden, die den Süden verantwortlich machen; die Christen, die auf die radikalen Muslime schimpfen und die Muslime, die den Christen koloniale Tendenzen unterstellen.«

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