Presseschau Deutschland

Eine neue große Debatte?

Zur Diskussion um deutliche Arbeitszeitverkürzungen
Weniger Arbeit, mehr Entspannung?
Weniger Arbeit, mehr Entspannung? Bild von Daniele Sartori

Man hat den Eindruck, es kommt endlich wieder zu einer großen gesellschaftlichen Debatte eines linken Themas. Lange waren die Auseinandersetzungen bestimmt von der Agenda des Neoliberalismus, die Linke war eindeutig in der Defensive, nicht nur in Deutschland. Arbeitszeitverkürzung ist, bei aller durchaus angebrachten Skepsis, ein reizvolles Projekt. Sie könnte helfen, Arbeitslosigkeit und Umweltbelastungen zu verringern, die zunehmende Sorge- und Pflegearbeit sinnvoll zu gestalten. Und nicht zuletzt die Prioritäten der Menschen anders zu setzen: Weg vom gehetzten Konsumismus, hin zu einer entspannteren, selbstbestimmten Freizeitgestaltung. Gewiss, das klingt nach Utopie. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken.

A ‘normal’ working week of 21 hours could help to address a range of urgent, interlinked problems: overwork, unemployment, over-consumption, high carbon emissions, low well-being, entrenched inequalities, and the lack of time to live sustainably, to care for each other, and simply to enjoy life.

Tarnkappen-Lobbyismus

Wege und Irrwege der PR

Mal geht es um Masthühner, mal um Haarausfall, und manchmal auch um Unterrichtsmaterialien. Es ist nicht immer offensichtlich, wann und wie Lobbyisten am Werk sind. Zwei Grundmuster lassen sich aber erkennen. Erstens: am erfolgreichsten ist PR, wenn sie nicht als solche erkennbar ist. Also in einem scheinbar neutralen, wissenschaftlichen Gewand auftritt. Zweitens: wenn sie es Multiplikatoren - also Politikern, Journalisten oder Lehrern beispielsweise - besonders leicht macht, ihre Inhalte zu übernehmen. Manche Strategien zielen dabei auf konkrete Interessen und deren gezielte Verbreitung bzw. Umsetzung, andere sind langfristiger und breiter angelegt, um bestimmte Grundhaltungen in der Gesellschaft zu verankern. Bedenklich sind sie aber allzu oft. Gerade, weil sie Partikularinteressen als allgemeinwohlfördernd darstellen.

Frage der Perspektive

Zu den Arbeitsmarktzahlen

So viele Arbeitsplätze wie nie zuvor! So wenig Arbeitslose wie seit 20 Jahren nicht mehr! Das verkündet die aktuelle Statistik zum Arbeitsmarkt. Parallel dazu verbreitet das Wirtschaftsministerium zahllose Plakate mit dem etwas plumpen Aufmacher »Danke, Deutschland!« Freilich ist das alles vor allem eine Frage der Interpretation. Denn gleichzeitig boomt vor allem die Teilzeit- und Leiharbeit, viele Arbeitslose verschwinden nur aufgrund statistischer Tricks aus der Berechnung. Das Arbeitsvolumen dagegen ist seit 2001 sogar zurückgegangen. Und die Reallöhne hinken der allgemeinen Entwicklung hinterher. Die Politik der letzten Jahre ist also kaum als Erfolg zu werten, wie das vielfach geschieht, meint Ulrike Herrmann:

Diese Groß-Erzählung wird nicht nur von der schwarz-gelben Regierung betrieben. Sie ist genauso beliebt bei vielen Sozialdemokraten und Grünen, die ja unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder die Hartz-Reformen erfunden haben. Gegen dieses parteiübergreifende Kartell der Schönfärberei ist schwer anzukommen. Deswegen sei es - noch einmal - gesagt: Nein, Hartz IV hat gar nichts gebracht. Die Zahl der Arbeitsstunden ist nicht gestiegen; es wurde keine neue Beschäftigung geschaffen. […] Die Hartz-Reformen haben keine Beschäftigung geschaffen, dafür aber die Verhandlungsmacht der Beschäftigten beschnitten. Nirgends lässt sich dies besser sehen als bei den Reallöhnen, die zwischen 2000 und 2010 nur um insgesamt 4,4 Prozent gestiegen sind. Die Wirtschaft hingegen wuchs gleichzeitig um 9,7 Prozent, so dass also der größte Teil des Zugewinns an die Kapitaleigner gegangen ist, an die Unternehmer und Aktionäre.

Green New Deal

Wie weit geht der Wandel?
Kraftwerk in Soweto, Südafrika
Kraftwerk in Soweto, Südafrika Bild von carlosoliveirareis

Joachim Hirsch widmet sich in einem längeren Beitrag den grundsätzlichen Voraussetzungen eines grünen, ökologischen Umbaus der Wirtschaft. Dabei dominiert bei ihm Skepsis, denn dieser Wandel würde sich stets in einem klar begrenzten Rahmen bewegen. So werde etwa Atom- durch Solarstrom ersetzt, nicht aber das Wachstum des Energieverbrauchs generell hinterfragt. Genauso, wie ein grüner Kapitalismus weiterhin auf Rohstoffe und Absatzmärkte angewiesen ist, sich an einer auch militärisch abgestützten Außenpolitik zur Durchsetzung dieser Interessen also nichts ändern wird. Eine Parallele sieht Hirsch dabei zwischen der Arbeiterbewegung und den modernen Ökogruppen. So wie einst bessere und notwendige Mindeststandards für die Arbeiterschaft durchgesetzt wurden, sorgt die Ökologiebewegung heute für ebenso notwendige Veränderungen auf ihrem Gebiet. Allerdings wird es kaum gelingen, das Wirtschaftssystem als ganzes umzukrempeln: Weiterlesen … »

Ein neuer Anlauf

Hat der Sozialismus eine Zukunft?
Ein neuer Anlauf
Bild von Jose Téllez

Heinz Dieterich ist ein radikaler Kritiker und so etwas wie ein Vordenker des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«. Bekannt wurde er vor allem durch seine Beratungstätigkeit für Hugo Chávez und andere linke Regierungen Südamerikas. Mittlerweile überwiegt bei ihm die Enttäuschung über diese seiner Meinung nach gescheiterten Aufbrüche. Aber zugleich hält er an seiner Vorstellung des Sozialismus fest:

Ein wirtschaftlich-gesellschaftliches System, das auf demokratischer Planung und partizipativer Demokratie beruht und das als Bewertungsmaßstab nicht Marktpreise benutzt, sondern die Arbeitswerte.

Denn das aktuelle System habe versagt:

Ich glaube, dass das bisherige System – bestimmt von Parlamentarismus, Nationalstaat und Marktwirtschaft, dessen Konstruktion aus dem 18. Jahrhundert stammt – heute nicht mehr fähig ist, sich den neuen Erfordernissen der Menschheit anzupassen. Nun muss die Evolution ein neues Weltordnungssystem erzeugen.

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Eine lange Geschichte

Schulden als Hebel der Umverteilung
Oligarchie oder Demokratie?
Oligarchie oder Demokratie? Bild von CmdrCord

Der Ökonom Michael Hudson beschreibt die Geschichte der Staatsschulden seit ihren Anfängen bei den Sumerern über die Antike und Frühe Neuzeit bis heute. Immer wieder stösst er dabei auf Konflikte zwischen Gläubigern und der breiten Masse der Bevölkerung. Der Staat nimmt dabei je nach Machtverteilung eine bestimmte Rolle ein. Mal dient er einer kleinen Oligarchie als Mittel zur Eintreibung ihrer Gelder, mal verfügt er einen allgemeinen Schuldenerlass zugunsten der Vielen. Heute wäre es seine Aufgabe, entweder letzteres durchzuführen oder zumindest über eine angemessene Besteuerung einen Teil der Vermögen wieder der Allgemeinheit zuzuführen.

Es gehört seit der Antike zu den geschichtlichen Konstanten, dass die Interessen von Gläubigern in Widerspruch zu denen der Demokratie wie auch des Königtums gerieten, die in der Lage gewesen wären, der finanziellen Eroberung der Gesellschaft und einer nahezu autonomen Dynamik Grenzen zu setzen, welche den ökonomischen Überschuss in zinstragende Schuldtitel verwandelte.

Die Spitze des Eisbergs

Die Affäre Wulff als kleiner Anteil einer korrupten Republik
Carsten Maschneyer möchte gern im Rampenlicht stehen, hier neben Veronica Ferres
Carsten Maschneyer möchte gern im Rampenlicht stehen, hier neben Veronica Ferres Bild von Hubert Burda Media

Mit einem gewissen Erstaunen nimmt die Republik zur Kenntnis, wie sich ihr Präsident eine ganze Reihe von kleinen Gefälligkeiten reichen ließ: Die Gemüter streiten sich, ob dahinter Ungeschicklichkeit oder System steckt. Doch der Eindruck einer korrupten Elite entsteht insbesondere durch die verdeckte Wahlkampffinanzierung des Versicherungsunternehmers Carsten Maschmeyer1, welche er nicht nur Christian Wulff, sondern bereits Gerhard Schröders zukommen ließ. Denn Machmeyer gilt als das Zentrum der Hannover-Connection, einem Netzwerk, in dem sich Politiker diverser Coleur, Finanzdienstleister, das Management eines Autoherstellers und gar Unterweltgrößen die Hand reichen. Die »politische Korruption« der Schröder-Regierung arbeitete Christoph Lüttgert bereits im Januar in seinem polemisch-investigativem Stil heraus: Die Grenze zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen ist in dieser Reportage nicht zu erkennen. Die Akteure der Drehtürpolitik geben sich ganz ungeniert, indem sich beispielsweise das vormalige Kabinettsmitglied Walter Riester für Voträge bezahlen läßt oder der Regierungsberater Bert Rürup direkt ins Geschäft einsteigt.

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