Magazin Beitrag

Deutsche Verhältnisse, europäische Verhältnisse

Etwas mehr Deutschland für Europa gefällig?

Die Zentralisierung Europas sollte vorangetrieben werden. Das meint jedenfalls Kanzlerin Merkel. Diesmal plädiert sie für eine Gleichschaltung und Vereinheitlichung des Renteneintrittsalters. Auf welchem Niveau es in etwa liegen sollte, verrät sie indes nicht. Dass sie aber »griechische Verhältnisse« abschaffen möchte, betont sie ausdrücklich - womit auch eine Antwort gegeben werden kann: nicht griechische, aber deutsche Verhältnisse sind europäisch erwünscht. Nicht von den Europäern vielleicht, aber dafür von der deutschen Regierung.


Ob nun Merkel selbst oder nur Der Tagesspiegel davon spricht, dass in Griechenland mit spätestens »Ende 50 in den Ruhestand« gegangen wird, bleibt vage - die Zahlen dürften jedoch vermutlich aus einer dunklen Schublade des beBILDderten Boulevardjournalismus stammen. Die EU-Kommission kam kürzlich noch zu anderen Zahlen. Und nach denen unterscheidet sich das effektive Renteneintrittsalter zwischen Griechenland und Deutschland nur unwesentlich. Aber Zahlen tun dem Eifer der Kanzlerin freilich keinen Abbruch und so fordert sie ungehindert die europäische Einheit auch in Rentenfragen.

Nicht was die Rentenhöhe betrifft, versteht sich. Und auch nicht in der Metafrage schlechthin, der Grundlage jedes Renteneintrittsalters: der Lebenserwartung! Eine europäisch zentralisierte Lebenserwartung gibt es nämlich nicht - die wurde bisher noch nicht verabschiedet und sie scheint auch nicht auf der Agenda der EU-Politik zu stehen, sondern als eigene Angelegenheit der jeweiligen Nationen verstanden zu werden. Deutsche Verhältnisse zum Renteneintritt würde litauischen Männern letzte geruhsame Jahre rauben, denn die werden durchschnittlich nicht mal 65 Lenze alt. Lettische Männer hätten mehr Glück, denn sie würden bis zum Inkrafttreten der »Rente mit 67« noch zwei Jahre den Herbst ihres Lebens genießen können. Nach dieser Reform würden Esten noch ein halbes Jahre darben dürfen - Ungarn, Rumänen und Bulgaren gerieten in den großherzigen Luxus, noch ganze zwei Jahre Rentner sein zu dürfen. Hoffentlich sind sie dann nicht schon zu siech, um dieses Gnadengeschenk genießen zu können.

Nun kann man natürlich gepflegt darüber streiten, ob es nicht gnädiger wäre, baltische Greise oder solche aus dem »Ostblock«, lange arbeiten zu lassen. Womöglich kämen sie dann besser über die Runden als als Rentner. Mit welcher Arroganz die deutsche Politik in Europa auftritt, ist mit Merkels verbaler Kraftmeierei aber dennoch unterstrichen. Deutsche Verhältnisse für alle!, das ist die Parole der deutschen Politik. Bravourstück ist freilich Deutschlands Asylpolitik, die man heute in ganz Europa praktiziert und die einen letzten Rest an Menschlichkeit ausgeweidet hat - jetzt ist eben die Rentenpolitik dran, nachdem Jahre der Exportweltmeisterschaft schon die Arbeitslosigkeit ins europäische Ausland exportierte. Deutsche Verhältnisse für alle! Was kümmert es da noch, dass litauische Arbeiter gar nicht alt genug werden, um jemals ein Renteneintrittsalter zu erreichen? Weil frühe Rentner Europa Geld kosten, muß gespart werden - auch wenn Osteuropäer dafür buchstäblich bis zum Umfallen schuften müssen. Wenn Osteuropäer ihre Rente nicht mehr erleben, dann rentiert sich das Rentensystem ja erst so richtig…

Europa als wirtschaftliche Einheit! Einig nun auch als Sozialsystem? Ein vereinendes Arbeits- und Sozialrecht will man hingegen nicht. Und eine zentralisierte Lebenserwartung kümmert ohnehin niemanden. Es schert doch den EU-Bürokraten nicht, dass ein Leben in Spanien nicht mit dem Leben in der Slowakei, das Dasein in Griechenland nicht mit dem Dasein in Nordnorwegen zu vergleichen ist. Und für die deutsche Kanzlerin gibt es lediglich, weil es ja nur Deutschland und Ausland gibt, »ein Leben im Ausland« - Ausland ist überall wo nicht Deutschland ist. Die Ausländer aus Europa sollten deutsche Maßstäbe anlegen, denn am deutschen Wesen soll… ach, dieses famose Sprüchlein erlebt auch heute noch Inflation…

Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf ad sinistram.