Magazin Beitrag

Gewalt, Stagnation und keine Perspektive

Die Lage im Kosovo

Brennende Häuser, Barrikaden, ein toter Polizist – und jetzt auch noch 700 zusätzliche Soldaten der NATO: Die jüngste Entwicklung im Kosovo ist mehr als unübersichtlich. Auslöser der Gewalttätigkeiten ist ein Streit zwischen der kosovarischen Regierung einerseits und der serbischen Minderheit bzw. der serbischen Regierung in Belgrad andererseits. Vordergründig geht es um das Recht auf Grenzkontrollen und Zölle, eigentlich aber um den noch immer unklaren völkerrechtlichen Status des Kosovo.

Denn Serbien – ebenso wie die serbische Minderheit im Norden des Kosovo – erkennt die Unabhängigkeit des Landes auch nach drei Jahren noch immer nicht an. Präsident Boris Tadic hat jüngst noch einmal unmissverständlich erklärt, sein Land werde lieber auf einen EU-Beitritt verzichten als auf die abtrünnige Provinz. Die kosovarische Regierung in Prishtina wiederum fordert, die Grenzen des eigenen Landes selbst überwachen zu können und damit eine vollständige Souveränität sicherzustellen. Bisher war diese Grenze im Norden, also im wichtigsten Siedlungsgebiet der serbischen Minderheit aber offen, Waren konnten ungehindert und zollfrei aus Serbien importiert werden. Auch in anderer Hinsicht ist diese Region de facto ein Staat im Staate und untersteht nicht der Zentralverwaltung. Deshalb versuchte die kosovarische Polizei Ende Juli, die Grenzposten durch ihre Polizei zu übernehmen. Krawalle und Straßensperren der Serben waren die Folgen, ein kosovarischer Polizist kam ums Leben. Mittlerweile werden in der serbischen Enklave auch die ersten Engpässe bei Lebensmitteln und Medikamenten gemeldet. Diese werden sonst fast ausschließlich aus dem Mutterland importiert.

Vor diesem Hintergrund beschuldigen sich nun beide Regierungen, eine Eskalation herbeiführen zu wollen. Die NATO hat umgehend reagiert und wird 700 zusätzliche Soldaten in den Nordteil des Kosovo senden, um selbst die Grenzstationen zu übernehmen. Damit steigt die Gesamtzahl ihrer Militärs vor Ort auf knapp 7000. Wichtigster Truppensteller der KFOR genannten Armee ist übrigens die Bundeswehr mit dann 1450 Soldaten, die darüber hinaus auch den Oberbefehl innehat.

Die jüngsten Ereignisse zeigen vor allem eines: Die Lage im Kosovo hat sich seit der Unabhängigkeitserklärung von 2008 keineswegs entspannt, die Probleme sind noch immer brisant und ungelöst. Was fehlt, ist ein für alle Seiten akzeptables politisches Konzept. Dabei gilt es, viele Punkte zu berücksichtigen: Die Situation der serbischen Minderheit, das politische, völkerrrechtliche und wirtschaftliche Verhältnis zu Serbien, aber auch die Rolle des Westens in der Region.

Dauerhafte Stabilität ist ohne eine weitgehende Autonomie der Enklaven genausowenig denkbar, wie eine Rückkehr des Kosovos in den serbischen Staat eine Illusion ist. Letzteres würde die albanische Mehrheit – sie stellt immerhin gut 90% der Bevölkerung – wohl kaum hinnehmen. Andererseits ist die katastrophale ökonomische Lage auch eine Folge der Abtrennung von den bisherigen Lieferanten und Kunden in Serbien.- Eine enge Kooperation auf diesem Gebiet zwischen beiden Staaten dürfte deshalb langfristig für alle einen Gewinn darstellen. Das könnte etwa über eine Zollunion geregelt werden. Mögliche Bereiche einer Selbstverwaltung der serbisch dominieren Regionen wären beispielsweise das Schulsystem und die Polizei. Damit würde den unterschiedlichen kulturellen Traditionen Genüge getan und außerdem das Misstrauen der Serben gegenüber den bewaffneten staatlichen Organen verringert werden. Ohne Kompromisse von beiden Seiten wird es jedenfalls keine dauerhafte Lösung des Konflikts geben.

Für den Westen stellt sich die Frage, ob die bisherige Politik nicht als gescheitert betrachtet werden muss. Seit dem Krieg von 1999 sind NATO-Soldaten dort stationiert, seit 2008 auch knapp 2000 Polizisten, Richter und andere Verwaltungsbeamte im Rahmen der politisch und juristisch umstrittenen EU-Mission EULEX. Zudem wurden mehrere Milliarden Euro Hilfsgelder ausgezahlt. Es ist trotz dieses Aufwandes aber nicht gelungen, eine stabile und sichere Lage herzustellen. Genausowenig, wie die wirtschaftliche Entwicklung vorankommt: Noch immer liegt die Arbeitslosigkeit über 40% und ein Drittel der Bevölkerung lebt von weniger als 1,50 Euro pro Tag; Bildungs- und Gesundheitswesen sind mit die schlechtesten in ganz Europa. Dabei verfügen NATO und EU hier über sehr weitreichende administrative Befugnisse. Man könnte auch sagen: Die eigentliche Bedrohung der Souveränität des Kosovo geht nicht von Serbien, sondern vom Westen aus. Es erscheint deshalb keineswegs übertrieben, hier von einem „westlichen Protektorat“ zu sprechen.

Klar ist dabei vor allem, dass Erfolge damit bisher weitestgehend ausgeblieben sind. Ähnliches gilt übrigens auch für einen anderen Nachfolgestaat Jugoslawiens: Bosnien-Herzegowina. Auch hier hat der Westen trotz vollmundiger Versprechen und enormem Aufwand versagt. Es reicht eben nicht aus, heftige Militärschläge auszuführen und dann eine langjährige Besetzung des Landes vorzunehmen. Zumal dann, wenn man sich auf eine Regierung wie die überaus korrupte, ja geradezu mafiöse des Ministerpräsidenten Hashim Thaci stützt. Die Milliarden an Hilfsgeldern versickern in dunklen Kanälen, Filz und Kriminalität halten das Land im Würgegriff. Damit reiht sich der Kosovo neben Bosnien, Irak und Afghanistan ein in die lange Reihe der Länder, denen der Westen Demokratie und Frieden bringen wollte, stattdessen aber vor allem Korruption, Elend und Perspektivlosigkeit geschaffen hat. Es ist ganz offensichtlich an der Zeit, diese Politik grundsätzlich zu überdenken.