Magazin Beitrag

Katastrophenwalzer

Eine Zwischenbilanz zu den Katastrophen in Japan

Das äußerst starke Beben vor Japans Küste, gefolgt von einem Tsunami und einem beispiellosen nuklearen Unfall, haben die Vorstellungskraft bekannter Katastrophen gesprengt. Eine Wirklichkeit, als habe Roland Emmerich die Regie bei CNN übernommen, bemerkte treffend Patrick Illinger in der Süddeutschen Zeitung 1.

Das Erdbeben und die folgende Welle sind ein seltenes Ereignis. Gleichwohl in dieser Region mit einer solchen Stärke nicht gerechnet wurde, sind solche Naturgewalten nicht unbekannt – zuletzt bei dem Seebeben 2004 im Indischen Ozean oder in Chile 2010 zu beobachten.

Neu war lediglich, daß ein solches Ereignis einen dicht besiedelten Industriestaat traf, auch wenn die Kernindustrieregionen nicht getroffen wurden. Hochtechnologiestaaten sind zugleich auch Mediengesellschaften, so daß man quasi live die Wucht der Welle miterleben konnte. Bei den aus dem Hubschrauber gefilmten Bildern war gleich klar, daß keine Schutzvorkehrung dafür ausgelegt war, so daß mit einer hohen Opferzahl zu rechnen war.

Zeigen die Auswirkungen der Plattentektonik, daß wir auf zerbrechlichen Erdschollen schwimmen, ebenso fragil wie unsere Zivilisation – die nukleare Kettenkatastrophe ist ein menschengemachter Alptraum. Anders als die Welle, die verwüstete Städte hinterließ, handelt es sich nicht um einen Eingriff höherer Mächte, um keinen einmaligen Schrecken, dem man sich fügen muß. Der Schaden wird nicht nach ein paar Tagen oder Wochen sichtbar, so daß nach einer Zeit des Chaos und der Trauer der Wiederaufbau begonnen werden kann. Dies ist ein Schrecken ohne absehbares Ende.

Dennoch kann ein erstes Fazit gezogen werden. Hat das Beben bereits eine bedrohliche Situation geschaffen, in der die Versorgung zahlreicher Kernkraftwerke an einigen Generatoren hing, hat der Tsunami auch diese und andere Teile der Anlage in Fukushima I völlig verwüstet. Sowohl die Auslegung des Kraftwerks als auch die Vorbereitung auf einen nuklearen Großunfall waren nicht ausreichend.

Das Hauptproblem der Katastrophenbewältigung stellt der vollständige Verlust des Kühlsystems dar. Bei dieser 40 Jahre alten Großanlage stehen für diesen Fall keine Ersatzsysteme zur Verfügung – es handelt sich um ein integriertes System großen Ausmaßes und nicht um einen Kühlschrank. Selbst wenn ein solcher Ersatz vorhanden wäre, die Heranschaffung und Installation wäre ein logistisches Großunternehmen.

Daß eine improvisierte Notkühlung mit Borvesetztem Meerwasser ohne geschlossenes Kühlsystem gleich in drei Fällen gelingen kann, darf als mehr als unwahrscheinlich bezeichnet werden. Selbst in diesem Fall wäre mit einer nicht unerheblichen Kontamination über Wochen zu rechnen, bis die Reaktoren kühl genug sind, um sie zu versiegeln. Im Gegenteil kann dieses Unternehmen kaum gelingen: Handelte es sich nur um einen Reaktor, könnte vielleicht auf Fortunas Erbarmen gehofft werden.

Eine fortlaufende Kernschmelze in mehreren Reaktoren ist ein Alptraum sondergleichen, ein Alptraum über dem mehrere Brennelemente in Abklingbecken schweben. Dabei handelt es sich um eine mehrfach verschachteltes Problem. So binden die parallelen Katastrophen die Kräfte zur Krisenbewältigung, erschweren aber auch jeweils den Zugang ins Krisengebiet. Wechselnde Kontaminationsspitzen an mehreren Reaktoren erschweren ebenso die Arbeit an der Eindämmung – mit der Folge neuer Störfälle. Daß wie bisher in den kommenden Wochen weiter ablandiger Wind weht, ist sehr unwahrscheinlich; vielmehr beginnt dieser in den nächsten Tagen zu drehen. Somit ist mit einem schlimmeren Katastrophenszenario in den kommenden Tagen und Wochen zu rechnen, bei dem auch die japanische Hauptinsel vom Fallout größeren Ausmaßes bedroht ist.

Über das Ausmaß der Kontamination besteht bislang Unklarheit: Bei den bekannt gewordenen Messungen wurden kurzeitig Spitzenwerte von 12 Millisievert pro Stunde erreicht, allerdings in über einem Kilometer Entferung zum Rekator gegen den Wind. Die tatsächlichen Spitzenwerte bei den Explosionen dürften um ein Vielfaches höher gelegen haben (laut Der Spiegel 12/2001 am Reaktor 3 bis zu 400 mSv/h). Meßwerte in der größeren Nähe der Reaktoren sind erst seit Freitag, nach den Explosionen, bekannt geworden. In immer noch 500 Metern Abstand, werden zur Zeit etwa 3 Millisivert pro Stunde gemessen, das entspricht annähernd der Jahresdosis natürlicher Radioaktivität. Die bisherigen Folgen dürften also auch in einer Kontimination des Fischfangs zu finden sein.

Auch wenn mit einem Beben dieser Stärke niemand gerechnet hat, waren die Risiken der Kernernergie bekannt. Keine Technlogie kann alle Risiken einbeziehen: Menschliches Versagen, politische Rahmenbedigungen, außergewöhnliche Naturereignisse – eine dumme Kombination dieser Faktoren nennt man eine Verkettung unglücklicher Umstände. Neben der daraus enstehenden permanenten Gefahr großer nuklearer Unfälle hat die Atomenergie die Endlagerfrage nicht gelöst.

Dabei existiert ein weit banaleres Argument gegen die Kernenergie: Sie ist schlicht völlig unwirtschaftlich. Denn müßten die Kraftwerksbetreiber eine nukleare Katastrophe versichern und die Endlagerkosten auf alle Zeiten zahlen, die Kosten stiegen um ein Vielfaches. Ebenso steht es mit den Kosten für sicherere Meiler. Insofern handelt es sich bei der Atomenergie um ein gewaltiges Subventionsprojekt des Staates. Ironischerweise rechnet sich diese Energieform für die Kraftwerksbetreiber am meisten bei alten, und somit unsicheren Meilern, da hier die Investitionskosten vollständig abgeschrieben sind. Würden die Betreiber für die reellen Kosten zur Kasse gebeten, sie würden ihre Reaktoren lieber heute als morgen abschalten. Und wie versichert man den emotionalen Wert, wenn das eigene Elternhaus 10 Kilometer vom Pannenreaktor in Krümmel liegt?

Dabei haben die Japaner bei ihrer aktuellen Apokalypse – so zynisch das klingen mag – fast noch Glück gehabt. Denn zeitweise hingen auch andere Reaktoren wie in Tokai nahe bei Tokio nur noch an einem einzigen Dieselgenerator. Zeitweise waren 4 Standorte bedroht. Kaum auszudenken, wenn zudem der Wind in den vergangenen 10 Tagen aus Nordost geweht hätte.

Allein die Zerstörungen durch Beben und Welle sind enorm. Dennoch sind durch sie kaum Industrieregionen getroffen. So ist damit zu rechnen, daß Japan diese Tragödie bewältigen kann. Die Folgen der nuklearen Verseuchung sind dagegen unabsehrbar, eine Eingrenzung scheint zum Scheitern verurteilt.

Das Erdbeben von Lissabon 1755 hat eine lange Kontroverse in der europäischen Philosophie ausgelöst und die Wissenschaft von Erdbeben begründet. Das Ereignis fiel in die Zeit der europäischen Aufklärung. Das Erdbeben von Sendai erinnert an den Grundkonflikt des 21. Jahrhunderts. Wachsene Industrialisierung und Bevölkerungsdichte stoßen an ihre Grenzen. Das Beben hat gezeigt, daß selbst Hochtechnologiegesellschaften vor den Folgen dieses Grundkonfliktes nicht geschützt sind. Die Beantwortung der grundsätzlichen Probleme unserer Zeit sollten sich daher von der Hybris technologischer Machbarkeitsphantasien endgültig lösen.

  • 1. Komödie in der Hölle, Süddeutsche Zeitung 17.03.2011

Kommentare

Informationen

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Schummeln bei den Messwerten?

Zu ergänzen sei, daß auffällig oft der Ort der Messwerte geändert wird. Dabei erscheint es eher unwahrscheinlich, daß dies technische Gründe hat, wie z.B. die Evakuierung des Hauptgebäudes. Möglicherweise veröffentlicht Tepco die günstigsten Werte und verschweigt die ungünstigen.

Messwerte

Die Angabe zu Meßwerten sind äußerst unterschiedlich: In den Reaktoren seien nach unterschiedlichen Angaben Spitzenwerte zwischen 100 und 1000 mS/h (Millisiervert pro Stunde) gemessen worden. In Tschernobyl sei dagegen im Reaktor mehr als 300 mS/h gemessen worden, allerdings ist durch Explosionen eine größere Menge freigesetzt worden.

Welche Werte nun immer stimmen mögen – eine Einstufung der höchsten Stufe 7 der INES-Skala scheint mittlerweile als angemessen.

Die widersprüchlichen Messwerte werfen ein schlechtes Licht auf Tepco.