Magazin Beitrag

Papa ante Portas

Was hat der Papst im Parlament verloren?
Benedikt XVI.
Benedikt XVI. Bild von Madrid2011jmj

Vom 22. bis zum 25. September wird Joseph Aloisius Ratzinger, alias Papst Benedikt XVI, Deutschland besuchen. Während es nicht ungewöhnlich ist, das die Oberhäupter der römisch-katholischen Kirche einer regen Reisetätigkeit nachgehen, sorgt die Einladung an den Pontifex, während seines Aufenthaltes im deutschen Bundestag zu sprechen, für heftige Kontroversen. Bisher haben sich rund 100 Abgeordnete der SPD, der Grünen und der Linkspartei entschieden, der Ansprache fernzubleiben. Das Bündnis „Der Papst kommt!“ ruft für den 22. September ab 16 Uhr zu einer Demonstration am Potsdamer Platz auf und hat eine Resolution formuliert, die zur Mitzeichnung zur Verfügung steht. Die Kritik an dem Aufritt des Papstes im Bundestag richtet sich vor allem gegen die offizielle Position der katholischen Kirche in Bezug auf die Rechte von Frauen und Homosexuellen, gegen die „Kondom-Politik“ des Pontifex und gegen das völkerrechtlich umstrittene Konstrukt „Vatikanstaat“.

Zollitsch vermisst Freundlichkeit, Respekt und Noblesse

Ich bedaure, dass Bundestagsabgeordnete wegbleiben und die Rede boykottieren wollen. Es gehört sich, einen solchen Gast mit der notwendigen Freundlichkeit, mit Respekt und Noblesse aufzunehmen.

So brachte Robert Zollitsch, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, seine Enttäuschung angesichts der ablehnenden Reaktionen auf den Papstbesuch und dessen Auftritt im deutschen Bundestag gegenüber der Zeitung Donaukurier zum Ausdruck.

Wenn die katholische Kirche davon spricht, was sich gehört und was nicht, dann ist grundsätzlich Argwohn geboten. Immerhin haben sich die wechselhaften vatikanischen Maßstäbe für angemessenes und richtiges Verhalten in den vergangenen Jahrhunderten für unzählige Menschen nicht selten höchst unangenehm ausgewirkt. Kritikern der Kirche, Wissenschaftlern, Freidenkern, Vertretern anderer Glaubensrichtungen, Abtrünnigen, Frauen, Homosexuellen und Denunzierten wäre viel daran gelegen gewesen, unbehelligt oder zumindest am Leben zu bleiben. Von Freundlichkeit, Respekt oder Noblesse einmal ganz zu schweigen.

Dass nun ausgerechnet die Organisation, die für Viele nach wie vor ein Synonym für Verfolgung, Ermordung, Folter und Denkverbote ist, Freundlichkeit, Respekt und Noblesse für sich reklamiert, wirkt befremdlich. Dabei lässt sich die Bundesregierung den Besuch des Kirchenoberhauptes rund 30 Millionen Euro kosten. Angesichts dieser Ausgaben von mangelnder Noblesse zu sprechen, könnte man mit Recht als unverschämt bezeichnen. Ganz sicher scheint sich Robert Zollitsch seiner und der Position seines Chefs jedoch nicht zu sein. Jedenfalls hat er im Namen der deutschen Bischöfe vor überzogenen Erwartungen an den Papstbesuch gewarnt. Am Ende könnte sonst Enttäuschung stehen.

Trennung von Staat und Kirche: Beim Geld hört die Feindschaft auf

Der Papst vertritt in Deutschland lediglich 30,2 Prozent der Bevölkerung, wenn man alle Menschen berücksichtigt, die der katholischen Kirche angehören. Hierzu zählen auch Neugeborene oder Klein- und Schulkinder, deren Kirchenzugehörigkeit auf dem Willen der Eltern basiert, Menschen, denen der Kirchenaustritt zu aufwendig oder zu teuer erscheint und solchen, die über ihre klerikale Mitgliedschaft einfach nicht nachdenken. Nähert man sich dieser Einschätzung über die Beurteilung der Zahl an praktizierenden Christen – im Jahr 2008 besuchten gerade einmal 4,4 Millionen Deutsche überhaupt einen christlichen Gottesdienst – dann fällt die Bilanz für den Pontifex noch deutlich schlechter aus.

Angesichts der Bereitschaft der Bundesregierung, Ratzinger trotz der geringen Anhänger- und Mitgliedsquote zur staatlich finanzierten Werbeveranstaltung in das Parlament einzuladen, fragt man sich, warum nicht auch der Vorsitzende des ADAC, das Oberhaupt des deutschen Sportbundes oder die Verbandschefs der Zigaretten- und Alkohol-Industrie dazu eingeladen werden, sich im Bundestag den Abgeordneten und der Öffentlichkeit mit ihren Botschaften und Thesen zu präsentieren.

Den Wunsch des Papstes, seine deutschen Schäfchen zu besuchen, kann man dagegen schon besser verstehen: Immerhin subventioniert der Staat die christlichen Kirchen pro Jahr mit rund 15 Milliarden Euro. Dieser Kostenblock setzt sich aus Zahlungen der Kommunen an die Kirchen, aus der Finanzierung des konfessionellen Religionsunterrichts, aus der Ausbildung von Theologen an staatlichen Universitäten, aus Gehältern und Pensionen von Bischöfen, Dignitären, Kanonikern und Domkapitularen, aus den Aufwendungen für die Denkmalpflege kirchlicher Gebäude, aus der Seelsorge bei Militär, Polizei, in Gefängnissen und Anstalten, aus der Produktion und Ausstrahlung christlicher Sendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aus der Unterstützung für christliche Missionswerke, kirchliche Kultur, christliche Orden und Stiftungen und aus der Kostenübernahme für Kirchentage zusammen.

Hinzu kommen die Verluste durch weitreichende Steuerbefreiungen der Kirchen und durch die Eintreibung der Kirchensteuern durch den Fiskus. Unberücksichtigt hierbei sind die Aufwendungen des Staats für die kirchlichen Sozialeinrichtungen von Caritas und Diakonie. Krankenhäuser, Pflegeheime, Kindergärten und andere soziale Einrichtungen die sich in der Trägerschaft der Kirchen befinden, werden mit einem Anteil von mehr als 90 Prozent durch den Staat finanziert. Obwohl die Kirchen, neben ihrem Namen, lediglich einen vergleichsweise kleinen Obolus beisteuern, herrscht dort uneingeschränkt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, während das gesetzliche Arbeitsrecht in den kirchlichen Einrichtungen außer Kraft gesetzt ist.

Staatschef oder Kirchenmann: Ratzinger in doppelter Mission

Joseph Ratzinger reist in doppelter Mission. Zum einen ist er der Regierungschef des Vatikan, zum anderen das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. In welcher Eigenschaft der 84-jährige den deutschen Bundestag besucht, darüber herrscht Unklarheit.

Anhänger des Papstes erhoffen sich von seinem Besuch und seiner Ansprache vor allem wichtige Impulse für die Gesellschaft, das Zusammenleben und das Miteinander der Menschen im Lande und verweisen darauf, dass sich Ratzinger nicht innenpolitisch äußern würde. Ein Blick auf das prall gefüllte Reiseprogramm des Pontifex bestätigt dies allerdings nicht. Am 24. September wird sich der Papst nämlich in Freiburg mit Helmut Kohl treffen, um den Altkanzler und überführten Veruntreuer von Spendengeldern für sein Lebenswerk als „Kanzler der Einheit“ zu ehren. Dies klingt eher nach einer staatsmännischen als nach einer religiösen Geste und bildet zudem ein sehr deutliches Statement in Bezug auf innenpolitische Angelegenheiten der Bundesrepublik.

Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter für die Linksfraktion, drückt seinen Widerstand gegen den Besuch des Papstes in seiner Rolle als Staatschef folgendermaßen aus:

Der Papst ist Repräsentant einer vordemokratischen Organisation. Über das völkerrechtlich umstrittene Konstrukt Vatikanstaat verschafft sich die katholische Kirche das Privileg, ihren Vertreter „Staatsbesuche“ abhalten zu lassen. Diese Konstruktion ist mit einer demokratisch gebotenen Trennung von Staat und Religion, sowie der Gleichbehandlung der Religionen nicht vereinbar.

Auch ohne innenpolitischen Impetus fällt es schwer nachzuvollziehen, was das Oberhaupt einer diktatorisch geführten Kirche in einem demokratischen Parlament verloren hat. Der Papst ist für die Unterdrückung von Lesben und Schwulen auf der ganzen Welt verantwortlich, verurteilt die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare als „Legalisierung des Bösen“ und diffamiert freiheitliche Gesellschaften als „Diktaturen des Relativismus“.

Die „Kondom-Politik“ der katholischen Kirche verhindert in vielen Ländern die HIV-Prävention und nimmt Krankheit und Tod billigend in Kauf, um ihre längst überkommene und realitätsferne Sexualmoral zu schützen. Der Vatikanstaat scheut nicht davor zurück, gemeinsam mit brutalen Diktaturen massiv gegen Menschenrechte vorzugehen, unterstützt Holocaust Leugner, verweigert von Hunger und Tod bedrohten Menschen die Hilfe aus dem unermesslichen Vermögen der katholischen Kirche und vernachlässigt sträflich seine Aufgabe zur deutlichen und konsequenten Ächtung von Krieg, Gewalt, Folter und Verfolgung.

In der Öffentlichkeit wird der Boykott des päpstlichen Bundestagsauftritts hauptsächlich als Angelegenheit der Linkspartei kolportiert. So schreibt Robin Alexander heute für die WELT ONLINE unter dem Titel „Die Papst-Tunte und der schwule Swingerclub“ unter anderem: „Die linke Aversion gegen den Papst geht auf den nie aufgearbeiteten Christenhass der SED zurück“. Die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt empfindet den Boykott der Rede im Bundestag als „intolerantes Verhalten“ und betont: “Die Linke beweist einmal mehr, dass ihr Mittel der Straßenkampf ist und nicht die besonnene Auseinandersetzung mit Argumenten“.

In Wirklichkeit zieht sich die Ablehnung gegen den Auftritt des Papstes vor dem Parlament allerdings auch durch andere Fraktionen. So werden nach bisherigem Stand 25 Prozent der SPD-Fraktion, 33 Prozent der Grünen und 50 Prozent der Abgeordneten der Linkspartei der Veranstaltung im Bundestag fernbleiben.