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Kongress zum Begriff des Kommunismus wirft die Würfel neu
1. Podium <br/>Jan R.
1. Podium Jan R.

Vom 25. bis zum 27. Juni fand in Berlin der Kongress „Idee des Kommunismus. Philosophie und Kunst“ statt. Für ein paar Tage prangte das K-Wort in großen Lettern an der Fassade der Volksbühne.

Ausgehend von einer Analyse des desaströsen Scheiterns der „kommunistischen“ Staaten, bereits lange vor ihrem äußerlichen Zerfall, sollte mit dieser Konferenz an einer emanzipatorischen Perspektive festgehalten werden, die wieder den Namen „kommunistisch“ verdienen würde. Dieses Festhalten sei jedoch keinesfalls nostalgisch zu verstehen. Vielmehr, so lautete der Einsatz der Veranstalter, müsse die „kommunistische Hypothese“ einerseits überhaupt rehabilitiert, andererseits in einer historisch neuen Form affirmiert werden.

Im Denken insistieren, wo nur das Nicht-Denken noch insistiert.

Das Werk Alain Badious, dessen Rezeption erst seit einigen Jahren durch Übersetzungen aus dem Französischen ins Englische und Deutsche befördert wird, kann als Grundstein der philosophischen Wiederaneignung der Vokabel des „Kommunismus“ gelten. Er eröffnete denn auch, nach einer Begrüßung Seitens der Volksbühne, die Veranstaltung mit einigen schwer verständlichen Worten auf Englisch. Es sei notwendig, um ein eigenes Verständnis des „Kommunismus“ zu ringen, hieß es da, schon um nicht genötigt zu sein, nur die gegnerische Propaganda zu wiederholen. Eine Aussage die sich vielleicht in ähnlicher Weise bezogen auf Badiou selbst machen ließe.

Frank Ruda und Jan Völker, die zu den insgesamt vier Kuratoren des philosophischen Programms zählten, präsentierten Eingangs, in enger Anlehnung an Badiou wie Descartes, acht „Thesen zu einer kommunistischen morale provisoire“. Diese solle es ermöglichen, eine Richtung aus der gegenwärtigen Lage der Desorientierung einzuschlagen (und anzuhalten), aus einer Lage, deren hauptsächliche Signifikanten heute die „Demokratie“ der Meinungen und die „Freiheit“ der Objektwahl seien.

Sei zunächst das „Scheitern des Kommunismus“ aus seiner Immanenz zu beurteilen, so sei weiter danach zu Fragen, „was den Herrschenden Angst macht“. Dies nun sei das Insistieren auf einem Punkt der Unmöglichkeit, der im Horizont dessen, was heute für möglich erachtet wird oder zur Auswahl steht, nicht auftaucht: „Sie werden Angst haben, weil wir auf etwas Unmögliches setzen. Sie werden sich nicht täuschen. Machen wir unsere Angst zu der ihren!“. So spalteten Ruda und Völker die Gemeinschaft der Desorientierung durch die Bestimmtheit einer kämpferischen Universalität; und man muß schon zu einer „Allianz der Furchtlosen“ gehören, wenn man sich den Namen des „Kommunismus“ in der Akademie heute freiwillig zu eigen macht. 1

Differenzen unter Kommunisten.

Antonio Negri hatte sich spontan zur Konferenz eingefunden. Vom ersten Panel aus griff er Badiou an, in dessen Philosophie es keinen Platz für die Analyse konkreter historischer Konstellationen gebe. Deshalb würde Badiou notwendig in der Ideenwelt verharren und den Brückenschlag zum wirksam handelnden Eingreifen nicht vollziehen können. Ohne „historische Ontologie“, so Negri, „gibt es keinen Kommunismus“.

Warum diese Attacke nicht verfängt, versuchte Badiou in einem eigens improvisierten Einschub während seines Beitrags am letzen Tag der Konferenz zu verdeutlichen. Nicht nur widersprach er seinerseits Negris „optimistischer Orientierung“ und warf ihm ein begrenztes Blickfeld auf den post-industriellen „Westen“ vor, während etwa in China derzeit Millionen ehemaliger Bauern proletarisiert seien, was eher an die Situation gegen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemahne. Auch gebe es in seiner Philosophie durchaus den „Ort des Ereignisses“, der die „ontologischen Konditionen“ einer historischen Situation bezeichne. Alles andere hätte auch stark verwundern müssen, ist Badiou doch, von Sartre herkommend, erst im Durchgang durch die Althusser-Schule zum Post-Maoismus gelangt.

Gerade die „Idee des Kommunismus“ stelle nun die Verbindung her, zwischen der Geschichte – der Struktur oder der historischen Situation –, der Politik und dem Subjekt. Sie erlaube es so „jedem Individuum, in einem konkreten Moment zum Helden der universellen Emanzipation der Menschheit zu werden.“ Die Idee des Kommunismus sei deshalb „konstitutiv“ und nicht nur eine Art „regulative Idee“, was Badiou, in Verteidigung gegen dahingehende, etwa von Slavoj Žižek geäußerte Vermutungen, geltend machte, Vermutungen, die sich allerdings auf Badious eigene Bekundungen, in seinen Publikationen, berufen können.

Es gibt nur eine einzige Welt.

Das wichtigste Axiom der kommunistischen Hypothese, die von der universellen Emanzipation handelt, sei, neben der Gleichheit jedes beliebigen Individuums mit jedem anderen beliebigen Individuum, denn auch jenes, dass es nur „eine einzige Welt“ gibt. Die Situation der proletarisierten Bauern in China ist Teil unserer Situation.

Dieser offensichtliche Gedanke scheint so offensichtlich nicht zu sein. Was soll man etwa davon halten, wenn im letzten Jahr die Deutsche Telekom eine Werbekampagne betrieb, bei der junge Menschen, von den Möglichkeiten ihres Mobiltelefons enthusiasmiert, vor der Berliner Mauer abgebildet wurden, welche bildmittig abreißt; Bilder die von lakonischen Sprüchen begleitet waren nach der Art: „Grenzen gab’s gestern. Heute gibt es keinen Song, den mein Telefon nicht erkennt.“ Dies – von der kulturellen Ignoranz, die daraus spricht, einmal abgesehen – während zugleich jedes Jahr viele Menschen bei dem Versuch sterben, Europa zu erreichen, die Staatsausgaben für die Kontrolle der europäischen Außengrenzen während der letzten Jahre immens erhöht wurden und Asylbewerber in Deutschland dem Isolationsregime der „Residenzpflicht“ unterworfen sind. Dies auch während zugleich immer wieder junge chinesische Arbeiter, deren Schicksal es ist, den Elektroschrott von morgen herzustellen, der in solchen Kampagnen beworben wird, den Freitod wählen, um der Aussichtslosigkeit ihrer Situation zu entgehen.

Man sieht leicht, dass es ohne dieses einfache Axiom, dass es nur eine einzige Welt gibt, kein wirkliches Denken geben kann. Man kann außerdem begreifen, dass die Werbung, wie Žižek es beobachtet hat, heute zunehmend politischer Propaganda sich annähert. „Sendeschluss gibt‘s nicht mehr.“, hieß es da passend in einem weiteren zeitgemäßen Sinnspruch der selben Telekom-Kampagne. Der Kommunismus, sagt Badiou, wird schon im Ansatz internationalistisch sein, oder er wird nicht sein.

Für einen neuen Existenzmodus der kommunistischen Hypothese.

Badiou  umriß in seinem Vortrag die Koordinaten der „kommunistischen Hypothese“. Er legte dar, warum man aus der Sequenz ihrer Aktualisierung im zwanzigsten Jahrhundert zu lernen habe, dass die kommunistische Idee nunmehr so zu formulieren sei, dass sie nicht durch sich selbst gewalttätig ist. Der auf Parteidisziplin und militärischer Zentralisierung basierende Apparat, der im zwanzigsten Jahrhundert allein den Sieg errang, sei nicht in der Lage gewesen, eine Gesellschaft aufzubauen, die anders gewesen wäre, als eben dies: zentralistisch und militaristisch, das heißt in Friedenszeiten polizeilich und terroristisch.

Auch zwischen Slavoj Žižek und Negri gab es eine Diskussion, die allerdings nichts Neues erbrachte. Während Žižek in der Multitude (und ihren rebellischen Querelen) vor allem einen deleuzianischen Kapitalismus am Werk sieht, vertraut Negri auf den Autonomiewillen, der auch noch in dieser Organisationsform des Kapitals insistiere.

Žižek selbst nahm am Samstag auf dem Podium Platz. Mit apokalyptischer Dringlichkeit machte er sich daran, mit jeglicher Nostalgie aufzuräumen, die man für die historische Form der kommunistischen Hypothese des zwanzigsten Jahrunderts noch hegen könnte. Somit stimmte er Badiou darin zu, dass diese Hypothese unter den gegenwärtigen Bedingungen in einer neuen Form zu realisieren sei. Man müsse von vorne beginnen, so Žižek eindringlich.

Auch er ließ keinen Zweifel daran, dass es ihm nicht um das gegenwärtig Mögliche geht, sondern um eine neue „Verteilung des Möglichen und Unmöglichen“ selbst. Dies sei die Domäne des (politischen) „Aktes“, anstatt bloßer kompensatorischer „Aktivität“. Es seien solche Akte, die auf der Möglichkeit einer Unmöglichkeit bestehen, die die Koordinaten einer Konstellation selbst neu ordnen, retroaktiv ihre eigenen Bedingungen bestimmen und verändern, was möglich gewesen sein wird.

Eine solche Veränderung der Koordinaten, sei heute jedoch nicht mehr vorgesehen. Alles sei möglich, sagte Žižek, nur die Regeln der kapitalistischen Ökonomie könnten nicht angetastet werden, „nicht mal ein kleines bißchen.“ Sichtlich sei die Ökonomie heute die dominante Ideologie. Ihre Hegemonie ist zugleich so vollständig und naturalisiert, dass sie als post-ideologisch erscheint. Erst eine Analyse könnte ihre metaphysischen Mucken offenbaren.

Žižek glaubt mithin an die materielle Kraft des Gedankens, und zu denken, erachtet er heute für notwendiger denn je. Doch wirkliches Denken, das eine schicksalsverändernde Kraft entfalten könnte, verschwinde zusehends. Den Bologna-Prozess bezeichnete er denn auch als „eine einzige große Attacke auf den öffentlichen Gebrauch der Vernunft“. Der Kapitalismus brauche das Denken nicht. Er funktioniere bestens ohne es. Verwaltungswissen und technologische Findigkeit würden ihm völlig ausreichen. Es gehe heute nur noch darum, Expertenwissen für den Lauf der Dinge zu produzieren.

Apokalyptisches Drängen.

Doch die Dinge laufen heute all zu offensichtlich gegen die Wand. Die historische Notwendigkeit sei „nicht auf unserer Seite“, wie eine bekannte Erbauungsformel es wollte. Man müsse sich also entschließen, gegen sie zu handeln. Auch Žižek lädt uns ein, Dinge zu tun, die im Horizont dessen, was gegenwärtig für möglich befunden wird, nicht auftauchen, Dinge die den dekretierten Sachzwängen des ebenso dekretierten Konsenses – jenem bleiernen Amalgam aus kapitalistischer Ökonomie und gemäßigter Demokratie – täglich unterliegen. Er lädt uns ein, vielmehr: er beschwört uns, unser „Schicksal zu ändern“, wie er es an anderer Stelle paradox formuliert.

Denn dieses sei vorherbestimmt, und es sei wenig erfreulich. Die Zukunft sei desaströs! Deshalb müsse es darum gehen, kontrafaktische Möglichkeiten in der Vergangenheit dieser desaströsen Zukunft zu ergreifen, und dies in jedem Moment unserer Gegenwart, welche eben diese Vergangenheit ist.

Der einzige „Utopismus“, den Žižek heute ausmachen könne, sei der naive Glaube, dass es immer so weiter gehen kann, dass sich irgendwie alles wieder einrenken und im Grunde doch stets besser werden wird. Jene allein seien heute die „Realisten“, die aus diesem „utopischen Traum“ erwacht seien, die auch noch die Pose zynischer Kapitulation abgelegt hätten und sich nur aufeinander verlassen würden, um in den Lücken der historischen Notwendigkeit ihr entgegen zu handeln. 2 Man dürfe nicht warten, beschwört uns Žižek in seinen jüngeren Publikationen, bis das Wissen um die desaströse Zukunft vollständig ist und zweifelsfrei, denn dies sei per definitionem möglich nur post festum, das heißt, wenn es zu spät ist. Gerade dies aber würden uns zahlreiche Skeptiker, mit ihren Partikularinteressen oder ihrem Bedürfnis, möglichst ungestört weiter zu schlafen und sich ihren Träumen hinzugeben, heute bitten zu tun.

Eine neue Linke unter altem Namen?

Auf eine Nachfrage aus dem Publikum, ganz am Ende der Konferenz, warum kaum Frauen eingeladen worden wären – in der Tat waren nur zwei Frauen unter den SprecherInnen – antwortete Žižek, der die Konferenz zusammen mit Alain Badiou instigiert hatte, dass sehr wohl viele Frauen eingeladen worden seien. Nur hätten diese, teils aus gesundheitlichen, teils aus inhaltlichen Gründen, abgelehnt. So hätte etwa Judith Butler ihre Einladung, auf dem Kongress zu sprechen, ausgeschlagen, weil sie nicht mit dem K-Wort assoziiert werden wolle.

Dass dieses Wort heute scheinbar so vollständig diskreditiert ist, manche „Linke“ hingegen selbst noch Hamas und Hisbollah als progressive soziale Bewegungen verstanden wissen wollen, mit denen Bündnisse einzugehen, kein größeres Problem darstellt, ist bizarr und wohl kaum gänzlich zu erhellen. Seinerseits jedoch erhellt es vielleicht einen Satz, den Slavoj Žižek in einem Vorabinterview zum Kongress in der TAZ äußerte:„Wenn die Linke sich nicht neu erfindet, wird die dschihadistische Bewegung unsere Zukunft sein.“ (TAZ, 25. Juni 2010) Zu dieser Neuerfindung sollte der Kongress als ein Beitrag verstanden werden.

Und wenn sich auch konkrete Einzelheiten im Verlauf der Veranstaltung bemängeln ließen, ein etwas überfülltes Programm, bei mangelnder Diskussionszeit mit dem Publikum oder die teils fehlende Übersetzung, so sind dies doch eher kleinliche Beschwerden. Denn nicht zu unterschätzen, ist schon allein der Umstand, dass sich am vergangenen Wochenende, in einer ausverkauften Volksbühne, mehrere hundert Menschen zu einer Veranstaltung mit besagtem K-Wort im Titel eingefunden haben, um – neben einem breiten künstlerischen Programm – etwa zwanzig RednerInnen zuzuhören. Vielleicht wird es einmal wahr gewesen sein, dass der Kommunismus zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Ostblocks „eine erstaunliche philosophische Renaissance“ erlebte. (ND, 28. Juni 2010)

  • 1. In der von Völker und Ruda herausgegebenen Reihe „morale provisoire“, beim Berliner Merve Verlag, die sich erklärtermaßen „an einem Jakobinismus des Denkens orientiert“, wird als nächstes „Die kommunistische Hypothese“ von Alain Badiou erscheinen.
  • 2. Um diese Lücken zu bestimmen – hier schlug Žižek sich gegen Badiou auf die Seite Negris – dürfe man sich einer genauen Analyse der historischen Situation nicht begeben. Während Negri jedoch auf die Bestimmung eines neuen politischen Subjekts setzt, geht es Žižek vor allem um eine kritische Rehabilitation der Kritik der politischen Ökonomie.