Magazin Beitrag

Innenminister Friedrich: 1000 islamistische Terroristen in Deutschland

Eine Beobachtung

Am Sonntag hat Bundesinnenminister Friedrich der BILD sein bereits sechstes Interview in diesem Jahr gegeben. Anlässlich des nahenden 10. Jahrestages der Anschläge vom 11. September 2001 spricht der Minister mit Deutschlands auflagenstärkstem Blatt über den Terrorismus in Deutschland und in der Welt und stellt ein weiteres Mal sein Konzept zur Gefahrenabwehr vor. Anti-Terror-Gesetze, Vorratsdatenspeicherung, Erweiterung der Behördenbefugnisse und erhöhte Wachsamkeit der Bevölkerung: So will der Innenminister dem „abgrundtief Bösen“ trotzen und die „Angriffe mitten ins Herz des Westens“ stoppen.

BILD unterstützt den Minister dabei, das angebliche Bedrohungspotenzial in den Köpfen der Deutschen lebendig zu halten. Und Friedrich liefert dem Blatt im Gegenzug publikumswirksame Schlagzeilen, die einen weiteren Rückgang der Auflage verhindern sollen. Es war Liebe auf den ersten Blick: Am 3. März diesen Jahres wurde Hans-Peter Friedrich zum Bundesminister des Innern ernannt. Am 31. März erschien in der BILD bereits das erste Interview mit dem frisch gebackenen Minister. Das Blatt hatte mit Karl-Theodor zu Guttenberg gerade seinen Lieblings-Polit-Promi verloren und entdeckte in Hans-Peter Friedrich einen würdigen Nachfolger.

Zwar ist der Glamourfaktor des bayerischen Law & Order Politikers gleich null. Dafür liefert Friedrich allerdings die blutigeren Schlagzeilen. Amokläufe, gewaltbereite Muslime und islamistische Terroristen in Deutschland: So lässt sich das Blatt, dessen Auflage zuletzt auf das Rekordtief von unter drei Millionen gesunken ist, erfolgreich verkaufen. Gleichzeitig erfüllt BILD einen traditionellen Auftrag und stützt nach Kräften die Union. Sechs Monate ist der Minister jetzt im Amt und sechs große Interviews sind seitdem bei BILD erschienen. Nur ein Bösewicht würde angesichts dieser Regelmäßigkeit von einem PR-Deal ausgehen.

Das aktuellste Interview betitelt die BILD mit: „In Deutschland leben 1000 islamistische Terroristen!“. In Friedrichs Wortlaut erscheint die reißerische und publikumswirksame Schlagzeile deutlich relativiert. Dort spricht er nämlich davon, dass wir in Deutschland fast 1000 Personen haben, die man als mögliche islamistische Terroristen bezeichnen könnte. Die Relativierung geht weiter. Von den 1000 angesprochen Personen handelt es sich laut Friedrich bei 128 um „Gefährder“. Damit meint der Minister Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie erhebliche Straftaten begehen könnten.

Eigentlich würde man davon ausgehen, dass die Definition eines „islamistischen Terroristen“ die Bereitschaft Straftaten zu begehen bereits einschließt. Welche andere Eigenschaft sollte es ansonsten rechtfertigen, jemanden als Terroristen zu bezeichnen? Und Friedrich relativiert ein weiteres Mal: Von den 128 Gefährdern waren nämlich lediglich „ungefähr 20“ zur Ausbildung in einem „Terrorcamp“. Aus den 1000 islamistischen Terroristen aus der von BILD-Lesern hauptsächlich wahrgenommen Überschrift werden also mit Mühe gerade einmal „ungefähr 20“ tatsächliche Terror-Verdächtige. Von diesen 20 behauptet der Innenminister zudem, „Wir wissen also, wer die Leute sind“.

Die BILD ködert Leser mit „1000 islamistischen Terroristen“ in Deutschland, Friedrich relativiert dies auf „ungefähr 20“ und schiebt sofort sein Konzept zur Bekämpfung dieser unaussprechlichen Gefahr hinterher: „so haben wir vor der Sommerpause die Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze im Kabinett beschlossen und wollen demnächst auch die Vorratsdatenspeicherung neu regeln“. Die Frage, aus welchem Grund man eine überbordende staatliche Kontrolle und Überwachung benötigt, wenn man die 20 konkret Verdächtigen ohnehin bereits kennt, wird von den BILD Redakteuren natürlich nicht gestellt.

Stattdessen lässt man den Minister weiter über Maßnahmen zur Terrorabwehr fabulieren. Friedrich betont hier beispielsweise den Einsatz von Körperscannern zur Gefahrenabwehr an deutschen Flughäfen. Ein haltloses Statement: Eben diese sind nämlich gerade offiziell daran gescheitert, dass sie Schweißflecken nicht von Sprengstoffen unterscheiden können. Auch hier erfolgt natürlich keine kritische Nachfrage durch BILD.

Es kann einem Angst und Bange werden, wenn man den Warnungen und Bedrohungsszenarien des Ministers folgt. Schenkt man seinen Worten und Mahnungen Glauben, dann sieht man Deutschland in einer bislang einzigartigen Bedrohungslage durch den internationalen Terror, der man nur mit härtesten Gegenmaßnahmen begegnen kann. Angesichts des vom Innenminister erzeugten Bildes könnte man beinahe vergessen, dass die europäische Polizeibehörde Europol in Den Haag für das Jahr 2010 „nur“ 249 terroristische Anschläge zählt. Insgesamt kamen hierbei sieben Menschen ums Leben. Weniger als alleine in Deutschland an einem einzigen Tag im Straßenverkehr sterben. Von den 249 Anschlägen hatten dabei drei (sic!) einen islamistischen Hintergrund.

  • Am 1. Januar 2010 versuchte ein 28-jähriger Somali den dänischen Cartoonisten Kurt Westergaard anzugreifen. Dieser konnte sich jedoch in seinen Panic-Room zurückziehen und blieb unverletzt.
  • Am 10. September 2010 löste ein Russe tschechischer Herkunft in einer Hotel-Toilette in Kopenhagen eine kleine Explosion aus, bei der niemand verletzt wurde.
  • Am 11. Dezember 2010 kam es in Schweden im Abstand von zehn Minuten zu zwei Explosionen, bei denen lediglich der Attentäter selber getötet wurde. Ansonsten kam niemand zu Schaden.

Zusammengefasst: Die Polizeibehörden zählen in ihrem Jahresbericht 2010 insgesamt 249 terroristische Straftaten, bei denen sieben Menschen ihr Leben verlieren. Drei dieser Anschläge haben einen islamistischen Hintergrund. Bei den als islamistisch eingestuften Taten kommt abgesehen von einem der Attentäter, niemand zu Schaden.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat sich seit seinem Amtsantritt den Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Deutschland auf die Fahnen geschrieben. Die offiziellen Zahlen von Europol belegen, dass es sich hierbei um einen Kampf gegen Windmühlen handelt, da die angebliche Bedrohung faktisch nicht existiert.

Die BILD unterstützt den Minister bei seiner Mission, die deutsche Bevölkerung in dem Glauben zu lassen, sie sei aktuell einer akuten Gefährdung ausgesetzt. Nur so gelingt es ihm, Mehrheiten für Maßnahmen zu gewinnen, die vordergründig Sicherheit suggerieren und hintergründig immer mehr Freiheiten und Grundrechte beschneiden.

Die sogenannten Anti-Terror-Gesetze, kürzlich um weitere vier Jahre bis 2016 verlängert, erweitern die Befugnisse von Verfassungsschutz, MAD, BND, Bundesgrenzschutz und Bundeskriminalamt erheblich, erlauben die Erhebung, Speicherung und Weitergabe von Bank-, Post- und Telekommunikationsdaten, schränken die Rechte von Asylanten, Ausländern und Ausländervereinen ein und schreiben die elektronische Speicherung von biometrischen Merkmalen auf Pässen, Personalausweisen und Aufenthaltsgenehmigungen vor.

Die Vorratsdatenspeicherung stellt alle in Deutschland lebenden Menschen unter Generalverdacht und sieht die uneingeschränkte Speicherung, Verwendung und sogar Weitergabe an ausländische Staaten der Kommunikationsdaten aller Bürger vor.

Gleichzeitig will der Minister die Bundeswehr auch im Innern einsetzen, die Anonymität von „radikalen Bloggern“ im Internet verbieten und den Staat mit seinem neu gegründeten Nationalen Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) gegen virtuelle Anschläge aus dem Web schützen.

Mit den genannten Maßnahmen kämpft das Innenministerium gegen eine Bedrohung, die nach offiziellen Polizeiberichten überhaupt nicht existiert. Sie kosten den deutschen Steuerzahler Milliardenbeträge und haben nach Expertenmeinung (Max-Planck-Institut, wissenschaftlicher Dienst des Bundestages) keinerlei Einfluss auf die konkrete Arbeit der Ermittlungsbehörden und die Aufklärungsquote schwerer Straftaten. Stattdessen schränkt die „Terrorabwehr“ des Innenministers die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger in unverhältnismäßiger Weise ein und erzeugt in Deutschland zudem eine Atmosphäre der staatlichen Kontrolle und Beobachtung. Schon heute denken viele Menschen zweimal darüber nach, ob sie ihre Meinung im Internet, per Mail, am Telefon oder im Freundeskreis offen äußern sollen.

Benjamin Franklin sagte bereits 1775:

„They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.“

Übersetzt lautet der weitsichtige und kluge Satz:

„Diejenigen, die bereit sind grundlegende Freiheiten aufzugeben, um ein wenig kurzfristige Sicherheit zu erlangen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.“