Magazin Beitrag

Abrechnung mit dem Arbeitszwang

Die traurigen Parallelen englischer und deutscher Sozialpolitik
Der britische Arbeitsminister Iain Duncan Smith <br/>Foto von CBI
Der britische Arbeitsminister Iain Duncan Smith Foto von CBI

Etwa zum gleichen Zeitpunkt, in dem der Bundesrechnungshof in einer Studie die Hartz IV-Reform und die Ein-Euro-Jobs als wirkungslos erklärt, werden die schon als brutal zu bezeichnenden Pläne der englischen Regierung zur schärferen Sanktionierung der Arbeitslosen publik. Das Vorhaben von Arbeitsminister Ian Duncan Smith ist ein perfider Höhepunkt in den Zeiten der Rentenkürzungspläne in Frankreich (euphemistisch als Erhöhung des Renteneintrittsalters bezeichnet), sowie der Streichung des Renten- und Elterngeldes für Hartz IV-Empfänger in Deutschland. Während die europäischen Staaten eisern auf Kosten der Bevölkerung sparen und überall die soziale Sicherheit bedroht ist, schießt Smith den Vogel ab.

Es ist wirklich schon waghalsig-feindselig, was die liberal-konservative Regierung den Engländern alles zumuten will. Vor einer Woche erst hatte man angekündigt, dass die Studiengebühren drastisch steigen würden (geplant ist eine Erhöhung von gegenwärtig 3.290 auf 9.000 Pfund pro Jahr ab 2012). Die Empörung der Studenten ist noch gar nicht verklungen, da hat nun in dieser Woche Duncan Smith seine Pläne bekannt gegeben, wonach Arbeitslosen Sanktionen drohen, falls diese nicht dazu bereit sind, in bestimmten Abständen unentgeltliche gemeinnützige Tätigkeiten zu verrichten. Dennoch dürfte der Zeitpunkt geschickt gewählt worden sein, da nun die mediale Aufmerksamkeit auf ein Feld gelenkt werden kann, dass zugleich eine ganz andere Zielgruppe tangiert. Und die Sanktionen haben es in sich. Wird ein solches unentgeltliches „Angebot“ zum ersten Mal abgelehnt, sollen künftig drei Monate Entzug der staatlichen Zuwendungen drohen, beim zweiten Mal sechs Monate, und drei Jahre lang gibt es keine staatliche Arbeitslosenunterstützung, falls auch das dritte Angebot abgelehnt wird. So sieht es Duncan Smiths Plan vor, über den das Parlament in den kommenden Wochen bis Ende des Jahres abstimmen soll. Smiths Überzeugung: Es ist eine Sünde, wenn Arbeitsangebote ausgeschlagen werden.

Was dabei auffällt ist, dass der wahnwitzige Trend zur Sanktionierung und Kürzung aber auch gar nichts mehr mit einer Arbeitsmarkt- oder Sozialpolitik im eigentlichen Sinne zu tun hat, sondern vor allem zu erheblichen Einsparungen im Sozialetat führen soll. Um dieses unsoziale Vorgehen zu rechtfertigen, skandalisiert man einmal mehr im öffentlichen Diskurs den „faulen, sich versündigenden Arbeitslosen“. Dass diese Form der Drangsalierung aber keinerlei positive Effekte auf die Arbeitsvermittlung haben kann, wird deutlich, wenn man realisiert, dass die Arbeitslosigkeit in den westlichen Gesellschaften nicht aus einem Vermittlungs- oder Motivationsproblem, sondern aus einem Strukturproblem resultiert. Man wird daher noch so harte Repressalien anwenden können – solange es keine Grundlegende Reform der Erwerbsarbeit und des Wirtschaftssystems als Ganzes gibt, wird sich an dem Mangel an Arbeitsplätzen und Erwerbsmöglichkeiten für einen großen Teil der Menschen nichts ändern.

Unterstrichen wird diese Erkenntnis durch den Bundesrechnungshof, der ein vernichtendes Fazit fällt. Tatsächlich bringen die vom deutschen Staat geförderten (Zwangs)Jobs nicht viel und sind zudem oft rechtlich fragwürdig. In einem internen Bericht übten die Kontrolleure scharfe Kritik an den Jobcentern und ihrer Vergabe von Ein-Euro-Jobs. Die geförderten Arbeitsgelegenheiten seien in der Mehrzahl der Fälle nicht geeignet, die Chancen von Langzeitarbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, heißt es in der Untersuchung, wie ein Sprecher des Rechnungshofs bestätigte. Die Rechnungsprüfer kritisieren weiter, dass die Jobcenter bei der Schaffung von Arbeitsgelegenheiten ihre Tätigkeit seit dem Jahr 2005 – also dem Jahr der rot-grünen Arbeitsmarktreform – nicht merklich verbessert hätten. In der Mehrzahl der Fälle würden die geförderten Jobs nicht helfen, die individuellen Vermittlungshemmnisse erwerbsfähiger Hilfebedürftiger zu verringern.

Die englische liberal-konservative Regierung scheint diese Lektion indes noch nicht gelernt zu haben. Doch geht es wohl auch kaum um Beschäftigungspolitik, sondern gemäß dem neoliberalen Credo um ein in der englischen Geschichte beispielloses Sparprogramm, dass in seinem Umfang und seiner sozialen Kälte selbst die Thatcher-Jahre in den Schatten stellen wird. Man hat in Europa aus der Finanzkrise und den Erfahrungen der 20er Jahre nichts gelernt, es wird keine Nachfragepolitik, sondern eine jetzt schon zum Scheitern verurteilte Spar- und Geldwertstabilitätspolitik durchgepeitscht (ähnlich wie in der ersten Weltwirtschaftskrise). Auch die verschärfte Drangsalierung von Arbeitnehmern und Arbeitslosen passt genau in diesem Rahmen. Die Zerstörung oder Minimierung des Sozialsystems, der Arbeitszwang zu jeder Bedingung als auch die Ein-Euro-Jobs in Deutschland vergrößern den Druck auf die Löhne und Arbeitnehmer und schwächen die Position der Gewerkschaften. Die „Reservearmee“ aus Arbeitslosen macht viele Arbeitnehmer austauschbar. Und genau darum geht es – eben nicht um eine Senkung der Arbeitslosigkeit, sondern um eine Disziplinierung und Rationalisierung der Erwerbsarbeit und des Erwerbslebens im unternehmerischen Sinne. Die Aufweichung der regulären Beschäftigungsverhältnisse, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und die Ausweitung der Leiharbeit sowie des Niedriglohnsektors sind die Folgen. Gebracht hat das – und zwar international – entgegen jeder beschönigenden Propaganda nicht mehr Arbeitsplätze, sondern lediglich mehr Freiheiten und Kosteneinsparungen für die Unternehmen einerseits, die Prekarisierung des Arbeitslebens andererseits.

Und in der Tat ist die vom Bundesrechnungshof hervorgehobene rechtliche Fragwürdigkeit bei staatlichen Arbeitszwang und Sanktionierung augenscheinlich. Mittel der Demütigung, Entmündigung und Entrechtlichung stehen diametral zu den in den europäischen Gesellschaften konstituierten Menschenrechten. Das Recht auf Arbeit wird, obwohl es vor dem Hintegrund der geschilderten Strukturprobleme für viele eine Illusion ist, zu einem Zwang zur Arbeit uminterpretiert. Gleichzeitig verlieren die Individuen ihre sozialen Rechte, die in England ohnehin schon sehr spärlich sind. Geschaffen wird – man kann es durchaus so drastisch formulieren – eine moderne Art der Ausbeutung und Sklaverei, die die Würde des Menschen antastbar werden lässt. Ob Frankreich, England oder Deutschland – der autoritäre Leviathan kommt in Europa zu neuen Ehren. Einmal mehr zeigt sich, dass nach der Finanzkrise die schwachen Rufe nach einem Diskurs über ein neues Gesellschaftssystem verstummt sind. Die Reaktion hat wieder die Oberhand gewonnen, eine Politik von Oben gegen Unten – die in der wohlfahrtsstaatlichen Ära des sozialen Ausgleichs längst überwunden zu sein schien – nimmt immer deutlicher Gestalt an. Je mehr Krisen das kapitalistische System produziert, umso unerbittlicher hält es an seiner Logik fest.


Dieser Beitrag ist urspünglich erschienen auf le-bohemien.net.