Magazin Beitrag

„Silowiki“ kippen Putins Chef-Strategen

Die Vertreter der russischen Sicherheitsstrukturen misstrauen den Reform-Plänen des liberalen Establishments. Ein Gastbeitrag von Ulrich Heyden
„Silowiki“ kippen Putins Chef-Strategen
Bild von ezioman

Am 8. Mai entließ Wladimir Putin seinen ehemaligen Chef-Strategen, Wladislaw Surkow, vom Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten. Die offizielle Erklärung zur Absetzung ist widersprüchlich. Putins Sprecher Dmitri Peskow erklärte, Surkow habe in der Regierung nicht in ausreichendem Maße für die Umsetzung von Putins Anordnungen gesorgt. Peskow teilte außerdem mit, Surkow habe seinen Rücktritt selbst eingereicht. Die Absetzung hat in Russland rege Debatten um die Hintergründe ausgelöst. Wladislaw Surkow prägte wie kein anderer das System der „gelenkten Demokratie“.

Auf dem Bolotnaja-Platz demonstrierte „der beste Teil unserer Gesellschaft“ sagte der stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung, Wladislaw Surkow, im Dezember 2011 in einem Interview, in dem es um die Protestbewegung „für ehrliche Wahlen“ ging. Er hoffe, dass die Demonstrationen auf der Straße und die „Unruhe im Internet“ zu politischen Reformen führen, erklärte Surkow, der seit 1999 politische Strategien für Putin entwickelte.

Die Schmeicheleien über die Protestbewegung fanden bei den Aktivisten auf der Straße jedoch kein Gehör. Die Protestierenden machten Surkow selbst verantwortlich für ein Parteien-System, das vom Kreml gelenkt wird und in dem Wahlfälschungen gang und gäbe sind.

Auch für Putin war Surkow als Berater nicht mehr interessant. Denn mit dem Aufbau eines Parteien-Systems sollte der Kreml-Berater ja gerade verhindern, dass sich Protestbewegungen auf der Straße entwickeln. Auf Initiative von Surkow war 2001 die Kreml-Partei Einiges Russland gegründet worden. Später initiierte Surkow die Gründung der Kreml-Jugendorganisation „Naschi“ (Die Unseren), die Gründung der linkspatriotischen Partei „Gerechtes Russland“ und der rechtsliberalen Partei „Rechte Sache“. Doch sobald diese Parteien versuchten ein eigenes Profil zu entwickeln, bekamen sie Ärger mit der Präsidialverwaltung. Ihr Bewegungsspielraum war zu begrenzt, um sich in der Bevölkerung wirkliches Ansehen zu gewinnen.

Surkow kam zu spät

An den Demonstrationen auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz beteiligten sich kleine und große Unternehmer, gutverdienende Ärzte und PR-Manager aber auch Studenten und Wissenschaftler mit geringem Einkommen. Diesen Menschen hätte Surkow gerne ein politisches Angebot gemacht. Doch er kam zu spät. Die russische Protestbewegung war entstanden, weil Mitglieder der regierenden Partei Einiges Russland zu frech Wahlergebnisse gefälscht hatten.

Das Sympathie-Bekenntnis für „den besten Teil unserer Gesellschaft“ kostete Surkow den Posten des stellvertretenden Leiter der Präsidialadministration.  Surkow wurde von Putin auf den Posten als stellvertretender Ministerpräsidenten abgeschoben. Am 8. Mai 2013 wurde Putins ehemaliger Chefberater auch von diesem Posten – auf dem er schon keinen Einfluss mehr auf die russische Innenpolitik hatte – abberufen.

„Wir brauchen eine zweite große Partei“

Dass sich der 48jährige Surkow jetzt aus der Politik zurückzieht, ist unwahrscheinlich. Symptomatisch war, dass Surkow am 1. Mai, als er vermutlich schon von seiner bevorstehenden Absetzung wusste, einen aufsehenerregenden Auftritt in der Londoner Higher School of Economics hatte. Dort bezeichnete Putins ehemaliger Chef-Stratege den Aufbau einer innovativen Wirtschaft als überlebenswichtig für Russland. Ebenso wichtig sei der Aufbau einer zweiten großen Partei, die mit der bisher dominierenden Partei Einiges Russland konkurrieren könne. „Vielleicht sollten wir so einer Partei helfen, auf die Beine zu kommen“, sagte Surkow. 

Ähnliche Ziele, wie die von Putins ehemaligen Chef-Strategen in London skizzierten, verfolgen der russische Milliardär Michail Prochorow, der 2012 bei den Präsidentschaftswahlen sieben Prozent erreichte und der 2011 nach elfjähriger Amtszeit zurückgetretene russische Finanzminister Aleksej Kudrin. Der ex-Minister gehört wie Prochorow zum liberalen Flügel des russischen Establishments. Kudrin hoffte 2011 offenbar auf eine zweite Amtszeit für Präsident Dmitri Medwedew. Doch die Hoffnungen zerstoben, weil sich die Kreml-Fraktion, die eine dritte Putin-Kandidatur unterstützte,  durchsetzte. Nur zwei Tage nach Putins Ankündigung für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, trat Kudrin – offenbar aus Enttäuschung über die kalte Dusche für den liberalen Flügel im Establishment - zurück. Im Dezember 2011 trat Kudrin dann auf einer Demonstration der Protestbewegung „für ehrliche Wahlen“ auf und warb für den Dialog mit dem Kreml.

Surkow, Prochorow und Kudrin könnten bei der Bildung einer neuen großen Partei  eine wichtige Rolle spielen. Diese Partei könnte die Interessen der liberalen Mittelschicht und der kleinen und mittleren Betriebe und innovativen Unternehmer vertreten, während Einiges Russland wie bisher als Partei der patriarchalen Fürsorge auftritt.  Einiges Russland würde – wie bisher - die Interessen der Rentner und anderer sozial Bedürftiger sowie die Interessen der großen Energie- und Rüstungsunternehmen vertreten.

Die Energie- und Rüstungsunternehmen und mit ihnen die russischen Sicherheitsstrukturen („Silowiki“) sehen offenbar jedoch keinen Bedarf an einer zweiten, großen Partei und verdächtigen Wladislaw Surkow der Zusammenarbeit mit der Protestbewegung, die angeblich von Washington gesteuert wird. Der links-patriotische Publizist und Herausgeber der Zeitung Sawtra, Aleksander Prochorow, vermutet, dass die „Silowiki“ Putin gedrängt haben, Surkow auch von seinem Posten als Vize-Premier abzusetzen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die „Silowiki“ gegen den liberalen, dem Westen gegenüber freundlichen Flügel des russischen Establishments aufbegehren.

Spekulationen um ein 750.000-Euro-Vortragshonorar

Das mediale Begleitfeuer für die Absetzung von Surkow kam vom russischen Ermittlungskomitee. Es  beschuldigte Surkow, er habe Korruption im Innovations-Zentrum Solkowo zugelassen. Ilja Ponomarjow, einem Duma-Abgeordneten von Gerechtes Russland, linken Aktivisten und Sprecher der Protestbewegung „für ehrliche Wahlen“, hatte von dem Innovations-Zentrum für zehn Vorträge das astronomisch hohe Honorar von 750.000 Euro gezahlt bekommen.

Bei seinem Auftritt in London verteidigte Surkow das Skolkowo-Projekt als „sauber“. In dem Innovations-Zentrum gäbe es keine Korruption, da der Leiter des Projekts, der Milliardär Viktor Vekselberg einer der reichsten Männer Russlands sei. Es sei höchst „unwahrscheinlich“, dass Vekselberg Geld stehle.

Während die politisch interessierten Menschen in Russland über die Hintergründe des Surkow-Rücktritts spekulieren, demonstriert die russische Protestbewegung gegen die Inhaftierung von 28 Aktivisten und sucht nach einem politischen Konzept. Die Protest-Bewegung sei zu sehr auf ihr Haupt-Thema „politische Freiheit“ fixiert, meint der linke Publizist Boris Kagarlitsky und weigere sich über den Tellerrand zu schauen. Millionen Russen – vor allem in der Provinz - seien von der zunehmenden Kommerzialisierung im Bildungs- und Gesundheitsbereich betroffen. Die Protestbewegung müsse das Thema Sozial-Abbau aufgreifen.  Nur so könne sich die Bewegung in die russische Provinz verbreitern.