Magazin Beitrag

Abgang des Zauberlehrlings

Eine Schlussbetrachtung der Causa Guttenberg

Wochenlang spaltete er die Republik: Karl-Theodor zu Guttenberg. Selten wurde so kontrovers und leidenschaftlich diskutiert in diesem Land. Dabei mag der Grund des Ganzen für einen Außenstehenden eher skurril erscheinen: Die Frage, ob er bei der Abfassung seiner Dissertation betrogen hat und wenn ja, ob er deswegen zu Recht seinen Posten räumen musste. Dabei geriet so manches leider aus dem Blick.

Zunächst einmal ist die Affäre ein klarer Beleg für die These, dass in diesem Land ohne und gegen die Medien keine Politik möglich ist. Der Ex-Minister war sich dieser Tatsache stets bewusst, und so hat er sich selbst konsequent inszeniert, hat ein Spektakel aus seiner Person gemacht. Insofern wäre es nicht erstaunlich, wenn der Zauberlehrling Guttenberg sich in den letzten Tagen vielleicht im Stillen an Goethes Zeilen erinnert hat: „Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los.“ Einmal ganz abgesehen davon, dass er sich bisher inhaltlich nur wenig positioniert hat, jedenfalls kein einziges Projekt auch zu Ende führen konnte. Denn auch das geriet im Medienhype um den gefallenen Star der Republik gelegentlich aus dem Blick. Interessant ist in diesem Zusamenhang auch, dass selbst das Kanzleramt kaum ein gutes Haar an Guttenbergs Reformvorschlägen ließ. Und das, obwohl Bundeskanzlerin Merkel sich in der Affäre demonstrativ vor ihren Minister stellte – unter anderem mit einem expliziten Hinweis auf seine gute Arbeit. Man könnte auch sagen: Guttenberg bewegte sich in einem Bereich zwischen der eigentlichen Politik und dem Boulevard. So gelang es ihm einerseits, unpolitische Menschen zu erreichen und für sich zu gewinnen, andererseits verschwanden eben dadurch auch die Sachfragen hinter dem Kult um seine Person.

Erstaunlich an der Affäre ist aber vor allem, mit welchen Emotionen beide Seiten ihre Sicht der Dinge vertraten. Hier die empörten Hüter von Anstand, Moral und Integrität, dort die Anhänger des fränkisch-adligen Messias. Ein Blick auf die einschlägigen Fanseiten bei Facebook genügt, um sich über das geistige Niveau dieser Debatte klar zu werden. Doch auch die eher seriösen Foren – etwa bei Spiegel Online – machen die Sache kaum besser. Neben diesen fragwürdigen Aspekten sei aber dennoch angemerkt, dass ein großer Teil der Medienlandschaft erstaunlich schnell eine kritische Position einnahm – und dabei auf die offensichtlichen Fakten verweisen konnte. Ein genereller Abgesang auf den medialen Mainstream scheint jedenfalls nicht angebracht.

Man konnte auch eine Menge lernen über das demokratische Potenzial des Internets. Dem vor allem ist es zu verdanken, dass die altbewährte Strategie des Aussitzens nicht funktionieren konnte. Zum einen wäre es ohne die „Schwarmintelligenz“ der Plagiatssucher von GuttenPlag Wiki kaum möglich gewesen, in der gebotenen Eile eine solche erdrückende Fülle an Beweisen zu sammeln. Darüber hinaus dürfte ein offener Brief an die Bundeskanzlerin, in dem mehrere zehntausend Doktoranden und gestandene Wissenschaftler ihrem Unmut Luft machten, nicht wenig zu dem allgemeinen öffentlichen Druck beigetragen haben. Nun ist diese Form der politischen Aktivität durchaus zweischneidig. So kann sie - wie in diesem Fall - tatsächlich etwas bewegen und die Hemmschwelle für eine öffentliche Stellungnahme wird gesenkt. Die Kehrseite liegt freilich darin, sich mit wenigen Klicks zuhause auf dem Sofa die bequeme Illusion von Engagement verschaffen zu können.

Es ist angesichts der zunehmenden Bedeutung des Internets für die politische Meinungsbildung aber auch klar, dass sich hier ein neues Feld für gezielte Kampagnen auftut. So kursieren mehr oder weniger überzeugend belegte Gerüchte, dass sowohl Umfragen als auch Forenbeiträge und Unterstützerzahlen professionell manipuliert wurden. Ein Beweis dieses sogenannten „Astroturfings“ ist naturgemäß schwierig zu erbringen. Aber die Gefahr liegt klar zutage, auch bei zukünftigen Anlässen. Wie wenig „reales“ Engagement hinter der vermeintlichen Unterstützung für Guttenberg steckt, zeigen auch die groß angekündigten Demonstrationen, deren Umfang sich zwische einigen Dutzend und ein paar hundert Teilnehmern bewegte. Zudem dominierten dabei eher Spott und Hohn als Solidarität mit dem eben Zurückgetretenen.

Wie schon mehrmals zuvor hat Guttenberg auch bei seiner Demission darauf verwiesen, dass „die öffentliche und mediale Betrachtung fast ausschließlich auf die Person Guttenberg und seine Dissertation statt beispielsweise auf den Tod und die Verwundung von 13 Soldaten abzielt“. Dies sei „eine dramatische Verschiebung der Aufmerksamkeit“. Das ist richtig und falsch zugleich. Natürlich ist die Personalisierung von Politik immer bedenklich. Die Frage ist eben nur, wie statt dessen über Politik berichtet werden sollte – insbesondere über jene, die der Minister in seinem Amt verfolgte. Zunächst einmal ist es einfach zynisch, sich selbst aus dem Schussfeld nehmen zu wollen, indem man auf tote Soldaten verweist. Man ist versucht zu sagen: sie hätten kaum zu einem günstigeren Zeitpunkt sterben können. Interessant auch, dass offensichtlich auf Betroffenheit angesichts deutscher Toter spekuliert wird, nicht aber bei einem Hinweis auf die – viel zahlreicheren – zivilen afghanischen Opfer des Krieges.

Denkwürdig ist jedoch vor allem etwas anderes: Kaum einer kümmert sich noch um die anstehende Bundeswehrreform. Allenfalls am Rande, wenn die Abschaffung der Wehrpflicht als epochale Errungenschaft gefeiert wird. Doch angesichts der Tatsachen relativiert sich das gewaltig, denn nur ein geringer Bruchteil der Armee besteht heute noch aus Wehrpflichtigen. Die übrigens, am Rande bemerkt, nicht für Auslandseinsätze verwendet werden dürfen. Der Kerngedanke der Reform ist ja auch erklärtermaßen, endgültig Abschied von der Territorialverteidigung zu nehmen und statt dessen die vielbeschworene „Armee im Einsatz“ zu schaffen. Das aber bedeutet, möglichst viele und leistungsfähige Verbände für Interventionen außerhalb des NATO-Gebietes bereitzuhalten. Dass es sich hierbei keineswegs nur um humanitäre Einsätze handeln wird, ist klar und beweist der Blick nach Afghanistan oder ans Horn von Afrika. Über diese Dimension des Bundeswehrumbaus, über seinen Zweck und die damit verbundene Außenpolitik wird aber kaum diskutiert. Und das ist das eigentlich Erschreckende, der wirkliche Skandal der Causa Guttenberg.