Magazin Beitrag

Die Schicht auf dem Papier

Eine Analyse über die Perspektiven der Digitalisierung von Medien
 <br/>Foto von splityarn, Flickr
Foto von splityarn, Flickr

Der Wandel der Medien ist in unserer Gesellschaft, in der die Verfügbarkeit und Vermittlung von Information einen so zentralen Stellenwert hat, eines der großen Themen unserer Zeit. Da jede Stellungnahme und Analyse einen Einfluss auf den Verlauf der Debatte hat und deren Teilnehmer in Wissenschaft und Medien meist mehr Akteur denn Beobachter sind, prägen Mythen und Projektionen den Diskurs. Im Vordergrund löst insbesondere die Digitalisierung Hoffnungen und Ängste aus, während eine durch beobachtende Distanz, also Kontemplation, geprägte Auseinandersetzung kaum ersichtlich ist.

Zweifelsohne bringt das Internet nach dem Buchdruck und dem Rundfunk einen der größten Umbrüche in der Mediengeschichte, auch weil es in der Lage ist, alle Grundformen wie Schrift, Ton und Bild zu transportieren. Auch wenn vernetzte Digitalisierung und Telekommunikation nicht mehr neu sind, werden sie erst langsam zum Massenmedium. Dies wird einerseits von der wachsenden Erschwinglichkeit und der fortlaufenden Entwicklung der Technologie befördert. Andererseits dauert es einige Zeit, bis eine technische Entwicklung in der Gesellschaft ankommt, sie umformt und prägt, und diese wiederum das Neue in ihre Gewohnheiten einfügen kann. Die Heranführung breiter gesellschaftlicher Schichten bis in ältere Jahrgänge an das neue Medium wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Ungleiche Geschwindigkeiten des Wandels

Dies ist ein Prozess, der eine andere Geschwindigkeit besitzt als die rein technische Entwicklung, die zwar auch ihre Zeit in Anspruch nimmt, aber verglichen mit der Reaktion der Gesellschaft wie ein »deus ex machina« erscheint. Walter Benjamin hat diese Ungleichzeitigkeit von Modernisierungsschüben in seinem berühmten Essay »Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit« weit weniger prosaisch ausgedrückt:

Die Umwälzung des Überbaus, die viel langsamer als die des Unterbaus vor sich geht, hat mehr als ein halbes Jahrhundert gebraucht, um auf allen Kulturgebieten die Veränderung der Produktionsbedingungen zur Geltung zu bringen.

Problem für die klassischen Medien

Gerade für die klassischen privaten Printmedien ergibt sich hier ein doppeltes Problem: Zunächst besteht ihr Geschäftsprinzip oder besser ihre »terms of trade« aus den Säulen Werbung, Verkauf und Paket. Das Paket besteht aus dem Abonnement eines Periodikums und eben aus der Zeitung selbst, die ein Informationspaket zum Zweiten darstellt. Dieses Paket wird verkauft mit Werbung, die auf ein bestimmtes Publikum zielt. Diese Aspekte konstruieren einen komplexen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhang, der in dieser Konstellation aus der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts entstanden ist.

Seitdem hat sich daran wenig geändert. Mit anderen Worten war dies ein stabiles und erfolgreiches System. Genau diese Tatsache jedoch erklärt, warum die Verleger so große Probleme haben, auf gravierende Veränderungen zu reagieren, denn sie haben das Lernen aufgrund ihres relativ bequemen Erfolges verlernt.

Das doppelte Problem besteht also darin, dass einerseits der Zusammenhang Werbung,Verkauf und Nachrichtenpaket neu geschnürt werden muss, andererseits die Fähigkeit dazu nicht vorhanden ist. Anders ist die erstaunliche Unfähigkeit der Produzenten von Film, Rundfunk und Zeitungen nicht zu erklären, einem wachsenden Bedarf ein passendes Angebot entgegenzustellen.

So beklagen die Hersteller von Kinofilmen die gängige Sitte der Bevölkerungsmehrheit zur digitalen und massenhaften Kopie, sind jedoch nicht in der Lage, im Netz ein adäqutes Angebot von Kinoproduktionen in guter Qualität zur Verfügung zu stellen. Statt dessen wird ein Bild des kopierenden Konsumenten als gewöhnlicher Verbrecher imaginiert, der eigentlich genau das Erwünschte tut: Konsumieren.

Selbst wenn man unterstellt, dass die Kalkulation in Wirklichkeit das DVD-Geschäft als profitabler betrachtet als ein Online-Angebot, wäre dies eine klassische Rechnung ohne den Wirt, der hier die Gewohnheit sei. Denn wenn eine Sitte der freien Verfügbarkeit sich erst einmal eingeschliffen hat, wird es schwierig sein, diesem volkstümlichen »Kommunismus« wieder Einhalt zu gebieten. Dabei wäre kaum zu bezweifeln, dass ein Angebot bei hoher Qualität, großer Auswahl und schneller Verfügbarkeit Nachfrager finden würde. Die Medienproduzenten sind zu stark auf die Frage der digitalen Rechtekontrolle konzentriert und Blicken wie der Hase auf die Schlange der unendlichen Reproduzierbarkeit.

Aber auch jenseits des Films sind kaum innovative Online-Angebote sichtbar. Umso aussagekräftiger für die Ignoranz ist, dass mit dem Softwareprodukt iTunes gerade eine Firma wie Apple, die eben nicht aus dem Medienproduktionssektor kommt, eine der wenigen innovativen und zeitgemäßen Lösungen anbietet.

Auswirkungen der Wirtschaftskrise und Renditedruck

Ein weiterer nicht zu vernachlässigender, aber wenig berücksichtigter Aspekt ist das Verhältnis von Angebot, Nachfrage und Kaufkraft. So kann ich ohne empirische Methode in meinem Bekanntenkreis feststellen, dass viele, anstatt sich eine Zeitung zu kaufen, auf das Internet ausweichen. Dies betrifft allerdings vor allem diejenigen, deren finanzielle Möglichkeiten überschaubar sind, während andere mit besserem Auskommen durchaus die Bequemlichkeit eines Abos schätzen, es sei denn sie leben im 4. Stock und der Weg zum Briefkasten übersteigt ihre sportliche Kondition in den Morgenstunden. Gerade aber die bedeutende Mittelschicht erlitt in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen spürbaren Verlust an Kaufkraft. Dieser wurde in den Vereinigten Staaten durch ein obskures Kreditsystem kompensiert, dass nun völlig zusammengebrochen ist. Dies ist eine Erklärung für die umso drastischere Zeitungskrise dort.

Die Frage, warum Menschen verstärkt kostenlose Medien nutzen, ist nicht nur rein eine Frage der Verfügbarkeit, sondern auch der finanziellen Möglichkeiten. Nur wenige Wirtschaftstheoretiker und -journalisten, wie zum Beispiel Lucas Zeise von der Financial Times Deutschland in seinem Buch »Das Ende der Party«, haben die mangelnde Nachfrage als direkte und indirekte Gründe der Wirtschaftskrise ausgemacht. Diese hängt weit mehr als behauptet mit der »Zeitungskrise« zusammen.

Der Renditedruck in der Wirtschaft im Allgemeinen, wie die berühmten »25 Prozent« des Josef Ackermann, hat die Löhne und die Nachfrage gedrückt und das »Geiz ist geil«-Zeitalter eingeläutet. Damit wurde die Grundlage eines funktionierenden, auf einem müden Klassenkompromiss basierenden Kapitalismus unterspült. Im Speziellen – der Medienlandschaft – kommt hinzu, dass nicht nur die Nachfrage der bürgerlichen Klientel zu wünschen übrig läßt, sondern der Renditedruck auch die Grundlage des Geschäftsprinzips, die Produktion von qualitativer Information in Frage gestellt hat.

Dem ersten Teufelskreis schließt sich also ein zweiter an, wenn die Renditeerwartung nicht nur dem Absatz die Grundlage nimmt – also der sprichwörtliche Arbeiter am Autofließband, der sich nicht mehr das Auto leisten kann, das er herstellt – sondern zusätzlich dem Alleinstellungsmerkmal der Nachrichtenmedien die Grundlage entzogen wird, nämlich der kostenintensiven Produktion qualitativer Information. 1 Diese Gleichung wird insbesondere dann relevant, wenn eine Alternative wie das Internet vorhanden ist. Die Gründe für die Zeitungskrise sind also, so hier die These, weit weniger monokausal wie behauptet, sondern eine Verkettung von Umständen.

Das Internet als Sündenbock

Das Internet dafür verantwortlich zu machen, ist naiv und kurzsichtig. Naiv vor allem deshalb, weil es als Medium weit weniger entwickelt ist als angenommen und daher noch keine echte Alternative zu klassischen Printmedien darstellt. Weder auf Spiegel Online noch bei der Süddeutschen Zeitung, um ein allzu banales Beispiel zu nennen, findet sich korrekte Typographie wie richtige Anführungszeichen. Eine unwichtige Tatsache; in einem Printmedium wäre dies jedoch eine Peinlichkeit ersten Grades.

Das Lesen langer Artikel unter den aktuellen technischen Möglichkeiten, der geringen Auflösung und Qualität digitaler Ausgabemedien und den diversen Standards, die einen intelligenten Satzspiegel erschweren, ist eine Qual. Das große Format, die Bequemlichkeit und Übersichtlichkeit einer Zeitungsseite, die Portabilität und durchdachte Struktur finden im Internet keine Entsprechung. All diese Mängel des so jungen Mediums in seiner Ausformung zu besprechen, würde hier den Rahmen sprengen. Allerdings wird deutlich, dass das Argument, das Internet ersetze die klassische Zeitung, nicht unbedingt falsch, aber völlig verfrüht ist.

Denn die wirklich interessanten Möglichkeiten des neuen Mediums sind – zumindest in Deutschland – noch kaum erkannt und ausgeschöpft. Eigentlich müßte an Stelle des merkwürdigen Pessimismus zumindest bei den Verlegern Goldgräberstimmung herrschen. Denn die Bedingungen, die das Herz eines renditeorientierten Medienproduzenten höher schlagen lassen, bietet das Netz reichlich: Unbegrenzte Reproduktion der Ware und Wiederverwendung zu geringen Kosten sowie die Möglickeit unbeschränkter räumlicher Erschließung. Wer diese Melodie der strukturellen Monopolisierung und Reproduktion spielen kann wie Microsoft, Facebook oder Apple, dem winkt Reichtum.

Seltsamerweise sind die Medienproduzenten in dieser Hinsicht reichlich unbedarft. Vielmehr beklagen sie gerade die unendlichen Reproduktionsmöglichkeiten zu ihren Ungunsten, sehen gerade in der Grundbedingung der Industrialisierung, der technischen Reproduzierbarkeit, eine Bedrohung. Vielleicht ist gerade dies die Ironie der Geschichte: Dass ein System an dem Punkt, wo es sich selbst am Nächsten ist, also seine tiefere Bedingung und Bestimmung am weitesten erfüllen kann, am Ende ist. Dass also, wenn die Repoduktion endlos möglich ist, sich die Kontrolle darüber verliert. An dieser These wäre allerdings viel Zweifel anzumelden. Im Gegenteil ist es wahrscheinlicher, dass am Ende etwas ganz anderes herauskommt, das im Wesentlichen der Welt entspricht, die wir bereits zur Genüge kennen.

Unausgeschöpfte Potentiale

Das Netz jedenfalls, um zum Thema zurückzukommen, bietet Merkmale, die es von bisherigen Medien unterscheidet. Erst wenn diese erkannt und entwickelt sind, wird die digitale Revolution der Medien ihre ganze Tragweite entwickeln, und Hoffnungen oder Ängste gerechtfertigt sein.

Neben dem Wesensmerkmal der technischen Reproduzierbarkeit und der räumlichen Erschließung, welche nicht zu entwickeln sind, da sie als conditio sine qua non vorhanden sind, sind andere Aspekte wenig erschlossen.

Dazu gehört der Link, welcher der Wissenschaft als Zitat bereits länger bekannt ist. Eine weltweit bekannte Suchmaschine hat aus dem Verständnis seiner Struktur bereits seinen wirtschaftlichen Nutzen gezogen. Bis jetzt wird auf Kontextualität im Netz bei Medienseiten wenig Rücksicht genommen. Spiegel Online hat mit seinem Relaunch im Jahre 2009 als einer der ersten großen Medienwebseiten in Deutschland diesen Aspekt berücksichtigt, indem ein Artikel themenspezifisch prominent auf weitere Artikel verweist. Ein weiterer Aspekt ist die Individualisierung von Inhalten, wie sie zum Beispiel durch »Communities« oder aber in dem neuen Auftritt der Financial Times Deutschland durch Lesezeichen Eingang finden.

Diese Beispiele zeigen jedoch auch, wie klein die Schritte zu modernen webbasierten Medienangeboten bisher sind. Die wirkliche digitale Medienrevolution setzt neue verbindliche Darstellungsstandards – wie das als allgemeiner Standard in weiter Ferne liegende CSS3 – voraus. Die Verlage und Medienproduzenten sollten ihre Kräfte bündeln und digitale Inhaltssysteme (Content Management Systeme) auf Basis offener Standards gemeinsam entwickeln. Die bisherigen Lösungen sind auf ihre Bedürfnisse begrenzt zugeschnitten, sodass jeder Akteur viel Geld in Eigenentwicklungen steckt.

Weit wichtiger ist jedoch die eingangs erwähnte Möglichkeit der Mischung bekannter Medienformate wie Text, Audio und Video. Die Trennung von Zeitung, Radio und Fernsehen wäre theoretisch aufgehoben, wenn dies nicht einen langwierigen und schwierigen Findungsprozess neuer Formate vorausetzen würde. Der kulturelle Code hierfür muss erst noch erfunden werden.

  • 1. Brigitte Baetz im Deutschlandfunk (Qualität im Sinkflug, Sendung vom 21.1.2010), sowie Götz Hamann und Anita Blasberg in der Zeit (DIE ZEIT, 26.11.2009 Nr. 49) haben auf die Gefahren des Renditedrucks hingewiesen.

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