Magazin Beitrag

Esoterisch aus der Krise

Der Mystizismus ansonsten rationaler Herrschaften

Weil das eine Sommermärchen torkelt, ist ein anderes dringend notwendig - und siehe da, die Krise scheint plötzlich entfleucht, ein Sommermärchen der etwas anderen Art eingezogen zu sein. Ein Märchen, ein Job-Wunder sei es, weil Kurzarbeit nun vermehrt abgemeldet würde und bis Ende des Jahres etwa 100.000 Stellen entstehen könnten - nochmals: entstehen könnten! Das alleine reicht heute schon aus, um rhetorisch ein Wunder zu bemühen! Und weil sich die Konjunktur erhole - wobei das schon sehr hoffnungsfroh formuliert ist! -, obgleich ein Sparpaket anberaumt sei, bastelt man sich daraus eine griffige Losung für die nächsten Wochen: Keine Angst vorm Sparen! Wie man darauf kommt, dass die Menschen keine Furcht vor der sparsamen Zukunft haben, es wird stets schleierhaft bleiben - wie man überhaupt so dreist sein kann, aus belanglosen Notizen ein Sommermärchen zu fingieren, scheint noch viel rätselhafter. Die einzige Wahrheit zum Sommermärchen ist wohl: es ist ein Märchen - ist also wortwörtlich begutachtet, nicht mal erlogen.

Krise plötzlich weg! Damit daran bloß keiner zweifelt, meldet sich auch Ernst Elitz, einst Gründungsintendant des Deutschlandradios, mittlerweile schäumender Missionar aus dem Hause Springer, zu Wort. Eine schlechte Nachricht gäbe es im Sommermärchen aber doch noch, vermeldet er: es gibt noch zu viele Miesepeter, die niemanden gute Stimmung gönnen würden. Gestrige Gespenster, nennt er sie; Gespenster, die er in die Mottenkiste packen will - Defätisten gehören eingesperrt, sie schaden dem Volkskörper!, polterten andere schon mal. Das ist zwar lange her, aber für Elitz vielleicht noch nicht zu lange! Wir haben keine Wirtschaftskrise mehr - wir haben nur noch eine Krise, weil es uns leider nicht an Miesmachern mangelt; weil wir noch immer genügend Nörgler unter uns haben, die einfach nicht ausreichend Courage besitzen, fadenscheinige Zustände durch Übermittlung positiver Energien zu beschwören, zu beschönigen.

Schluckt Soma, werdet zuversichtlich! Denn begreift: es gibt keine Krisen, es gibt nur Pessimisten - wären diese Schwarzmaler nur dazu fähig, beispielsweise auch der Bettelei etwas Positives abzuverlangen: depressive Stimmungslagen wären wie weggeblasen - niemand bräuchte mehr Antidepressiva! Hier setzen die Verklärer der Armut an, jene Romantiker, die im Elend eine edle Tugend wittern. Armut sei nämlich keine Strafe - sie sei eine glänzende Chance! Und wer das nicht sieht, der soll »weg in die Mottenkiste«! Freut euch des Lebens: auch wenn die Lebensfreude nach und nach wegrationalisiert und -reformiert wird - wer sich trotzdem freut, dem werden Märchen zuteil. Froh zu sein, bedarf es wenig; und wer froh ist, ist ein König! Elitz und Konsorten, diese ganze Clique von Beschwörern und Missmut-Exorzisten, sie wirken fast wie esoterische Lebensberater, wie Kabbalisten und Spiritisten. Für sie liegt der Schlüssel der Verbesserung der Lebensumstände nicht in Fakten, nicht im materiellen Diesseits oder in der strukturellen Organisation einer Gesellschaft - er liegt in einem selbst begraben, in seiner Einstellung, in seiner geistigen Verfassung.

Es gibt gar keine schlechten Zustände, keine Missstände - es gibt nur schlechte Sichtweisen. Verändere das, was du verändern kannst - dich selbst also! Denn die Welt ist wie sie ist, die Welt ist unveränderbar - there is no alternative! Nimm hin, was unabwendbar ist - und reichere dieses Unumgängliche, gleich wie tragisch es auch ist, mit Freude und positiver Energie an! Elitz offenbart sich damit letztlich als Glaubender - er ist ein vortreffliches Beispiel dafür, wie der Glaubenseifer, der früher das Geschäft der Religion war, in den Materialismus - in diesem Falle: in den Kapitalismus - hinüberwechselte. Hoffen und glauben an das Jenseits war gestern; hoffen und glauben an ein Diesseits, das besser scheinen soll als es aber ist, ist heute. Elitz ist kein unabhängiger Kolumnist - er ist religiöser Erbauungstexter und ein Inquisitor für all jene, die seinem strikten Glauben, seiner optimistischen Religion, nicht folgen wollen.


Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf dem Blog  ad sinistram.