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Mittendrin

Krisenreporter unter der Lupe
Mittendrin

Kriege, Terrorismus und Naturkatastrophen gehören mit Sicherheit zu den spannendsten journalistischen Themen. Gleichzeitig halten sich aber auch wenig realistische Vorstellungen darüber, was ein Krisenberichterstatter eigentlich tut – und wie er es tut. Das Buch von Stephan Weichert und Leif Kramp „Die Vorkämpfer – Wie Journalisten über die Welt im Ausnahmezustand berichten“ will hier eine Lücke schließen.

Das Thema

Interessant ist die Studie gleichermaßen für angehende Journalisten und jene Mediennutzer, die sich klarer darüber werden möchten, wie Nachrichten eigentlich entstehen. Behandelt werden alle wichtigen Nachrichtenkanäle: Fernsehen, Print und Online. Der etwas reißerisch anmutende Titel passt dabei nicht zu der angenehm nüchtern-sachlichen Darstellungsweise der Autoren. Das schmälert aber natürlich nicht deren Verdienst. Genausowenig wie die Tatsache, dass das Lektorat nicht gerade gründlich ausgefallen ist; zahlreiche grammatische Schnitzer und Druckfehler durchziehen das Werk.

Inhaltlich gliedert sich das Buch im wesentlichen in zwei Abschnitte. Zunächst wird der aktuelle Forschungsstand aufgearbeitet; im zweiten, umfangreicheren Teil werden die Ergebnisse von Interviews mit 17 erfahrenen Krisenjournalisten dargestellt. Ergänzend finden sich im Anhang noch einige praktische Verbesserungsvorschläge sowie knappe Biografien der Gespächspartner.

Gleich zu Beginn machen Weichert und Kramp deutlich, dass es ihnen keineswegs darum geht, an einem modernen Heldenmythos zu stricken (Seite 10). Vielmehr möchten sie dazu beitragen, den Beruf des Krisenjournalisten in seinen handwerklichen und ethischen Aspekten darzustellen und die vielschichtigen Missstände aufzuzeigen. Darüber hinaus wird auch thematisiert, was sich in den letzten Jahren verändert hat.

Praxis und Probleme

Ganz interessant sind die Ausführungen darüber, wie man eigentlich Krisenreporter wird (79-88). In der Regel geschieht das eher zufällig – eine spezifische Ausbildung etwa an Journalistenschulen existiert ohnehin nicht. Viele sehen das vor allem als Karrieresprungbrett, bei dem sie sich unter schwierigen Bedingungen bewähren können. Die Motive für diese Entscheidung sind insgesamt vielfältig: Abenteuerlust wird ebenso genannt wie Idealismus oder Freude an Recherchen. Nur wenige der Interviewten machen sich aber Illusionen darüber, wie viel sie tatsächlich bewegen können durch ihre Arbeit. Und auch wenn man es anders vermuten würde: Zwar gibt es durchaus heikle Situationen - einer der Befragten wurde sogar einmal entführt – aber generell wird das Risiko als eher begrenzt eingeschätzt bzw. ist nicht permanent gegeben (176). Das setzt natürlich eine sorgfältige Vorbereitung auf den Einsatz voraus.

Die allgemeinen Schwierigkeiten des Journalismus gelten auch in diesem Bereich – und manchmal noch verstärkt. Der Zwang der Aktualität genauso wie der Druck von Quote und Auflage führen häufig zu unzulässigen Verkürzungen und Vereinfachungen entlang eingängiger „Gut-Böse-Schemata“ (27). Generell orientieren sich die meisten Berichte eher an möglichst spektakulären und emotional aufgeladenen Ereignissen und vernachlässigen so die Hintergründe und Kontexte. In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick auf den Friedensjournalismus (56-59). Nach Johan Galtung geht es bei diesem Konzept darum, sich auf Konfliktursachen und –folgen zu konzentrieren; die Opfer und Akteure auf den unteren Ebenen, nicht die Eliten und deren Sichtweisen werden ins Zentrum gerückt. Genauso wie es überhaupt darum geht, ausgewogen alle Parteien zu berücksichtigen.

Aus der Notwendigkeit insbesondere des Fernsehens, Konflikte visualisieren zu müssen, ergibt sich ein gravierendes Problem. Nicht nur, dass Bilder stärker wirken als geschriebene oder gesprochene Informationen: Wenn es keine Bilder gibt, gibt es auch keinen Bericht. Am Beispiel des Kongos wird das besonders deutlich (34, 107). Dieser überaus blutige und langwierige Krieg wies sehr schwierige Arbeitsbedingungen für Berichterstatter auf. Dementsprechend gab es wenige Nachrichten. Ganz anders dagegen, könnte man hinzufügen, war die Situation des 11. Septembers 2001: Die Ereignisse geschahen quasi im Zentrum der Weltöffentlichkeit, hundertfach dokumentiert. Es kann kaum verwundern, dass die Wahrnehmung und Einschätzung in beiden Fällen völlig konträr verlief. Die kurzatmige Ballung von Berichten ist aber zum Teil auch durchaus gewollt; denn die Redaktionen zuhause orientieren sich oft an den sogenannten Leitmedien und geben Themen dementsprechend vor (135). Umgekehrt gilt dann: Ist etwas nicht schon bekannt und damit vermeintlich für viele Leser oder Zuschauer interessant, sinkt die Wahrscheinlichkeit, Berichte dazu in den Medien unterzubringen.

Ein wichtiges Thema ist der sogenannte Embedded Journalism; also die Praxis, Reporter bei militärischen Operationen einzubinden (47-49). Allerdings nur unter Aufsicht der Presseoffiziere und erst nachdem bindende Verhaltensregeln vertraglich vereinbart wurden. Erstmals im Irakkrieg 2003 von der US-Army praktiziert, gibt es das mittlerweile in nahezu allen westlichen Armeen, auch in der Bundeswehr. Das Dilemma ist offenkundig: Einerseits können so organisatorische Schwierigkeiten umgangen werden und man erhält direkten Zugang zu Kriegsgebieten. Andererseits besteht die Gefahr, sich zu sehr von einer Seite und deren Perspektive auf den Konflikt vereinnahmen zu lassen. Oder wie es Friedrich Nowottny vor einigen Jahren formulierte: „Der Blick des Journalisten fällt durch den Sehschlitz des Panzers. Und der ist nicht sehr groß.“ Gerade in Afghanistan war es schwierig, unter diesen Bedingungen mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt zu treten. Erstaunlicherweise gilt diese Praxis trotzdem mittlerweile als anerkannte und vielgenutzte Methode (209). Auch in anderer Weise spielt der Umgang mit staatlichen Stellen eine Rolle. Seien es Botschaften, lokale Verwaltungen – oder eben die Pressestellen der Bundeswehr. Letzterer wird allerdings ein schlechtes Zeugnis in Bezug auf ihre restriktive Informationspolitik ausgestellt (115). Noch gravierender aber sind Einflussnahmen von Seiten der Geheimdienste. Diese versuchen nicht nur, gezielt Informationen zu streuen, sondern haben auch schon Journalisten bespitzelt, wie ein konkreter Fall des BND zeigt (204). Für eine weiterführende Lektüre zum Thema Medien und Politik in kriegerischen Auseinandersetzungen sei der Sammelband Gute Medien – böser Krieg? Wien 2007 empfohlen. Dort wird u.a. die Rolle der Berichterstattung im Vorfeld von Konflikten, aber auch der Embedded Journalism kritisch beleuchtet.

In den letzten Jahren haben Journalisten zunehmend Konkurrenz von anderen Akteuren auf dem Nachrichtenmarkt erhalten. Denn im Internet ist es leicht möglich, über Social Networks, Twitter oder Blogs Informationen zu verbreiten. Und diese Berichterstatter sind oftmals nicht nur schneller, sondern auch durch ihre lokale Verwurzelung näher dran am Geschehen. Die Bewertung dieser neuen Mitbewerber fällt zwiespältig aus. Sie werden zwar durchaus geschätzt als zusätzliche Informationsquellen. Aber die Journalisten betonen auch deren Unzuverlässigkeit und mangelnde Professionalität. Es sei meist kaum überprüfbar, ob die Angaben stimmen bzw. wer wirklich dahinter stecke (66, 119). Diese Kritik ist sicher ernstzunehmen. Aber es ist auch klar, dass hier eine gewisse Angst vor einer Entwertung der eigenen Arbeit mitschwingt: Man möchte sich natürlich unter Verweis auf die eigenen Qualifikationen abgrenzen. Dennoch dürfte die Tendenz kaum aufzuhalten sein, dass in Zukunft immer mehr Mischangebote im Netz bereitstehen. Es stellt sich ja sowieso die Frage, nach welchen Kriterien eine Berichterstattung als professioneller Journalismus einzuschätzen ist.

Ein großer Teil der Arbeit vor Ort besteht darin, Kontakte zu Einheimischen aufzubauen. Dabei helfen den Journalisten sogenannte Stringer (179). Deren Aufgaben bestehen aber auch darin, zu übersetzen, Recherchereisen zu organisieren oder auch kulturelle Hürden zu überwinden. Allerdings wird deren Unterstützung mitunter kritisch gesehen. Denn sie sind häufig in lokale Strukturen eingebunden und daher nicht neutral; im Gazastreifen beispielsweise gebe es kaum Stringer, die nicht mit der Hamas symphathisierten. Hinzu kommt, dass sich diese Hilfen zu einem regelrechten Geschäft entwickelt haben. Und demensprechend finanzkräftige Medien auch die besten Leute rekrutieren können (189f). Ein weiterer Effekt dieser Entwicklung ist, dass viele Stringer Kontakte und Interviewpartner unterschiedlichen Medien anbieten. So erhält man selten Zugang zu exklusiven Stories. Eigene Recherchen, verbunden mit profunden Orts- und Sprachkenntnissen sind jedenfalls nach wie vor unverzichtbar. Gerade mit Blick darauf ist es um so mehr zu bedauern, dass aus Kostengründen zunehmend Korrespondentennetze ausgedünnt werden. Stattdessen schicken die Redaktionen bei aktuellen Krisen Reporter in die betroffene Region. Und die ziehen dann nach wenigen Tagen oder Wochen zum nächsten „Hotspot“ weiter (108, 155). Ausführliche Recherchen und langfristige Berichterstattung sind so natürlich kaum zu leisten.

Mögliche Verbesserungen

Abschließend stellt sich die Frage, wie die geschilderten Probleme vermieden und so ein besserer Krisenjournalismus ermöglicht werden könnten. Weichert und Kramp stellen hierzu einige Lösungsansätze vor. Zunächst sollten Redaktionen klare Verhaltensregeln aufstellen und diese auch für die Öffentlichkeit transparent machen. Allerdings räumen sie selbst ein, dass eine Kontrolle unter den schwierigen Bedingungen und fernab der Redaktionen kaum möglich sei (220-222). Geeigneter wären sicher eine gezielte Schulung und Reflexion des eigenen Handelns (222f). Beides könnte im Rahmen der jeweiligen Redaktion, aber auch durch Kurse in Journalistenschulen erfolgen. Die Kooperation mit Blogs und ähnlichen Medien wird, da ist den Autoren zuzustimmen, sicher an Bedeutung gewinnen(225). Zumal davon beide Seiten profitieren.

Dennoch müsste der Ansatz zu Reformen tiefer gehen. Viele der genannten Probleme gehen ja auf die rücksichtslose Orientierung an Vermarktungsmöglichkeiten zurück: Die Emotionalisierung, der „Herdentrieb“, aber auch die Kurzatmigkeit der Berichterstattung. Hier wäre zu fragen, ob nicht eine nichtkommerziell ausgerichtete Strukur der Medienunternehmen etwa in Form von Genossenschaften Abhilfe schaffen könnte. Gewiss, dahin ist es ein langer Weg. Aber einzelne Beispiele wie die taz oder die junge Welt zeigen, dass auch so guter Journalismus möglich ist. Insbesondere durch wechselseitige Kooperationen mit Medien und Bloggern vor Ort könnten darüber hinaus auch kleinere Medien ein breites Netz an Berichterstattern aufbauen. Das wäre auch ohne große Budgets möglich – und die Partner wären zudem mit den regionalen Verhältnissen vertraut.

 

Stephan Weichert/Leif Kramp: Die Vorkämpfer. Wie Journalisten über die Welt im Ausnahmezustand berichten. Köln 2011.