Magazin Beitrag

Kritik des Establishments

Ein Sammelband zum Neoliberalismus
Kritik des Establishments

In dem Sammelband „Kritik des Neoliberalismus“ finden sich vier Aufsätze von Gesellschaftswissenschaftlern, allesamt Angehörige der Kölner Universität. Sie behandeln unterschiedliche Aspekte des Themas: seine historisch-ideellen Grundlagen, seine Kernanliegen sowie konkrete politische Maßnahmen und deren Folgen für die Demokratie.

Der erste Teil von Ralf Ptak führt fundiert und verständlich in das theoretische Gedankengebäude des Neoliberalismus ein. So erfährt der Leser etwas über das Menschenbild, die ökonomischen Grundbegriffe wie Markt oder Konkurrenz, aber auch über die Rolle des Staates und des Individuums. Nebenbei wird zudem deutlich, dass es verfehlt wäre, von „dem“ Neoliberalismus zu sprechen: Vielmehr handelt es sich um mehrere Schulen, die abgesehen von einigen gemeinsamen Leitideen auch deutliche Unterschiede aufweisen.

Die weiteren Beiträge widmen sich der deutschen und internationalen Politik der letzten Jahre. Der Fokus liegt dabei auf dem Umbau der sozialen Sicherungssysteme unter neoliberalen Vorzeichen. Unter Schlagwörtern wie Eigenverantwortung, Flexibilisierung und Entbürokratisierung erfolgte hier ein drastischer Abbau auf Kosten der großen Bevölkerungsmehrheit. Insbesondere die geradezu Orwell´sche Umdeutung von Begriffen wie Freiheit oder Gerechtigkeit sowie ein dichtes Netz von undurchschaubaren, international agierenden Organisationen und Think-Tanks ermöglichte diese Politik. Und damit kommen wir zu einer der Stärken des vorliegenden Bandes: Er zeigt nicht nur auf, welche Mechanismen dem neoliberalen Diskurs zugrunde liegen, sondern auch, welche Akteure diesen in der Öffentlichkeit (und hinter verschlossenen Türen) vertreten.

Vieles davon mag dem Leser schon bekannt sein, dennoch kann man den Band mit einigem Gewinn lesen. Bemerkenswert erscheint etwa die langfristige Anlage des „Projekts Neoliberalismus“; die Fülle an Literaturangaben ermöglicht zudem eine vertiefende Beschäftigung mit der Materie.

Die im Titel angekündigte Kritik erfolgt durchgängig (mit Ausnahme vielleicht des deutlich radikaleren Textes von Bettina Lösch) auf der Basis eines eher moderaten linkskeynesianischen Standpunktes; wer dagegen eine konsequent kapitalismuskritische Sichtweise bevorzugt, sollte sich eher an die „Kleine Geschichte des Neoliberalismus“ von David Harvey halten.

Da der Sammelband schon 2008 erschien, konnte die aktuelle Entwicklung, insbesondere die weltweite Wirtschaftskrise, nicht mehr berücksichtigt werden. Das schmälert den Informationswert jedoch nicht grundsätzlich. Ärgerlich dagegen sind die häufigen Überschneidungen, hier hätte man eine bessere Abstimmung der Autoren untereinander erwarten können. Gerade in Bezug auf die aktuelle Politik und ihre gesellschaftlichen Folgen wären einige Zahlen und Fakten hilfreich gewesen. Darüber hinaus wäre es wünschenswert gewesen, die optimistische Einschätzung der Möglichkeiten alternativer Konzepte detaillierter auszuführen – statt dessen verbleiben sie im rein Deklamatorischen.

Insgesamt aber handelt es sich um einen durchaus gelungenen Versuch, den Neoliberalismus in seiner Vielschichtigkeit zu erfassen und kritisch zu beleuchten.

Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak (Hg.): Kritik des Neoliberalismus. 2. Auflage Wiesbaden 2008.