Magazin Beitrag

Elitenperspektive

Was kritischer Journalismus nicht ist

Was macht kritischen Journalismus eigentlich aus? Das vielleicht wichtigste Kriterium lautet: Die Sichtweisen der Mächtigen nicht einfach übernehmen, sondern hinterfragen, mit anderslautenden Fakten konfrontieren. Stephan Finsterbusch zeigt dagegen in einer Reportage über Chinas Milliardäre exemplarisch, wie man es nicht machen sollte.

In seinem Beitrag für die FAZ schildert er den Aufstieg einiger prominenter chinesischer Unternehmer. Das ist natürlich ein spannendes Thema. Aber der rote Faden, dem er folgt, ist uns hinlänglich bekannt: Der arme Tellerwäscher, Wasserträger oder die Näherin arbeiten sich mit Fleiß und Cleverness nach oben. Und dabei vergessen sie ihre Herkunft nicht, sondern spenden reichlich für karitative Zwecke. Sei es für medizinische Forschung, für Bildung oder Hilfe bei Naturkatastrophen. Denn schließlich, so wird einer von ihnen zitiert: »Geld ist das eine, Werte das andere.«

Das gute Werk verrichten sie übrigens äußerst medienwirksam, wie das Beispiel Chen Guangbiao zeigt. Der baute eine Mauer aus Geldscheinen, die er dann im ganzen Land an Bedürftige verteilen ließ. Andere Milliardäre gründen Stiftungen und berufen sich dabei auf das einschlägige amerikanische Vorbild der Gates, Rockefeller und Buffett. Man mag darüber räsonnieren, was die Gründe dafür sind. Sicher ist nur eines: Ganz so uneigennützig und philanthropisch, wie sie sich selbst gerne geben, sind diese Wohltäter nicht. Man denke an die Steuervorteile oder, wahrscheinlich noch wichtiger, an die Verbesserung des eigenen Images oder überhaupt des Bekanntheitsgrads. Und das kann in der Geschäftswelt ein entscheidender Vorteil sein. Gerade für jene, die sich erst einen Namen machen, sich etablieren müssen.

Private Stiftungen stellen zwar zum Teil gewaltige Summen bereit. Aber ihre Ziele und Methoden sind dabei keineswegs transparent – von demokratischer Willensbildung oder auch nur Kontrolle ganz zu schweigen. Problematisch ist insbesondere die Tatsache, dass die Stiftungen einen großen Teil ihrer Gelder in Aktien und dergleichen investieren. So kommt es unweigerlich zu Interessenskonflikten zwischen Profitorientierung auf der einen und karitativem Anspruch auf der anderen Seite. Matthias Gräbner schreibt: »Bei der Bill & Melinda Gates Foundation etwa hatte es schon vor einigen Jahren Kritik am investierenden Arm der Stiftung gegeben, der mit dem Ziel der Gewinnmaximierung durchaus in Firmen investierte, die zum Teil für Probleme verantwortlich waren, die der helfende Teil der Stiftung dann kurieren sollte.«

Auch Finsterbusch weist auf die Schattenseiten des chinesischen Booms hin: »Die Kluft zwischen Arm und Reich ist groß, nach Schätzungen der Vereinten Nationen größer als in Amerika.« Aber ist es so einfach? Genügt es, mit einem Satz darauf hinzuweisen, dass die Schere zwischen arm und reich heute in China größer ist als in den USA? Was das konkret bedeutet, erfährt der Leser nicht. Genausowenig wie die Tatsache nur kurz erwähnt wird, dass Partei- und Staatskader zu den Hauptprofiteuren des Wandels gehören. Und die Eliten haben ihre ganz eigene Sicht auf die Dinge, jenseits aller Sonntagsreden über Werte und Verantwortung. Der Soziologe Yu Hai sagt dazu: »Viele Entscheidungen werden von Leuten getroffen, die keine Ahnung haben, wie der Durchschnittsbürger lebt. Wenn heute unsere Offiziellen und Reichen über die Armen sprechen, dann klingt das so ähnlich wie vor 150 Jahren die Reden der weißen Amerikaner über die schwarzen.«

Entscheidend ist aber, dass Finsterbusch sich überhaupt nicht dafür zu interessieren scheint, wie denn diese gigantischen Vermögen wirklich entstanden sind. Kein Wort von den Arbeitsbedingungen in Fabriken oder auf Baustellen. Nichts über die jüngsten Streiks oder deren Hintergründe. Es passt wohl nicht ins Bild, dass den meisten auch mit großem Fleiß und Hartnäckigkeit der Weg nach oben versperrt bleibt. Das hat die in der Metallindustrie beschäftigte Wanderarbeiterin Li übrigens schnell erkannt: »Mein Traum wird nicht wahr werden, das ist unmöglich. Wir kommen vom Land, da haben wir keine Chancen.« Jede Medaille hat eben zwei Seiten – und nicht jede glänzt.