Presseschau Beitrag

Freiheit und Gleichheit

Müssen »sozial« und »liberal« Gegensätze sein?

Das politische Denken der Gegenwart versteht liberal und sozial, also Freiheit und Gleichheit als Gegensätze. Diese Denkart findet sich in beiden politischen Lagern: Liberale fordern weniger Steuern (d.h. weniger Gleichheit durch weniger Umverteilung) und »weniger Staat« (d.h. mehr Freiheit) und Linke verstehen und verteidigen den Sozialstaat als Korrektiv einer gewährten Wirtschaftsliberalität. In dem Buch »Lernen aus der Krise – auf dem Weg zu einer Verfassung des Kapitalismus« legt Peter Ulrich, Mitglied des Schweizer Rats für Wirtschafts- und Sozialpolitik kontrapunkt, dar, dass Freiheit und Gleichheit durchaus vereinbar sind und für die Vordenker des Liberalismus zusammen gehörten.

Freiheit und Gleichheit war die Gesellschaftsvorstellung des modernen Bürgertums und so sah es den Staat als ihr Gemeinwesen und Garant für ihre Bürgerrechte und nicht als möglichst klein zu haltendes Übel wie heutige Liberale. Der Wandel kam in der Mitte des 19. Jh., als dem Bürgertum das politische Ideal der allgemeinen Freiheit gleichberechtigter Bürger zu Gunsten des eigenen Wohls verloren ging. Also der vorher auch politische Liberalismus zum bloßen Wirtschaftsliberalismus schrumpfte. So wurde aus dem gesellschaftlich fortschrittlichen Bürgertum ein elitär-konservatives. Seitdem werden die dem Handeln des Bürgertums zu Grunde liegenden Einzelinteressen dadurch kaschiert, zu behaupten, von der von ihnen angestrebten deregulierten, globalen Wirtschaft würden alle profitieren.

Die dem ursprünglichen Liberalismus innewohnende »tiefe Überzeugung von der moralischen Gleichheit aller Menschen in ihrer humanen Würde als Subjekten selbstbestimmten Denkens und Handelns« steht heutigem liberalen Denken entgegen, wo die Gleichwertigkeit der Menschen dadurch aufgekündigt wird, Langzeiterwerbslose als minderwertig, weil unmoralisch (faul) zu verunglimpfen. Um die heutigen sozialen Probleme zu lösen (v.a. die hohe Arbeitslosigkeit und die daraus folgenden hohen Sozialstaatslasten), präsentiert der Autor neue gesellschaftliche Ansätze, da herkömmliche wirtschafts-politische dazu nicht in der Lage seien. Durch die Zivilisierung des Wirtschaftslebens mittels sog. Wirtschaftsbürgerrechte sollen alle Bürger ermächtigt werden, am wirtschaftlichen Leben teilnehmen zu können und nicht von Transfers abhängig sein zu müssen. Schließlich dient(e) die Wirtschaft in einer Demokratie nicht dem Selbstzweck, sondern ist Mittel zum Zweck der Steigerung des Allgemeinwohls.