Presseschau Beitrag

Reine Spekulation

Die zweite Preisspirale bei den Lebensmittelpreisen ist die Triebfeder für weltweite Unruhen
Lebensmittelpreisentwicklung: Die zweite Blase binnen 5 Jahren
Lebensmittelpreisentwicklung: Die zweite Blase binnen 5 Jahren

Stehen die Revolutionen und Revolten in Nordafrika und im Nahen Osten durchaus in der öffentlichen Aufmerksamkeit, wird einer der zentralen Gründe mit einer gewissen Ratlosigkeit eher am Rande erwähnt: Die seit Frühjahr dramatisch ansteigenden Lebensmittelpreise auf den Weltmärkten. Ralf Streck näherte sich dem Phänomen mit einer exzellenten Analyse. In zahlreichen Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas führen die Lebensmittelpreise zu Hunger und innerer Instabilität wie zuletzt bei den Hungerrevolten 2008. Weder die forcierte Biospritproduktion noch der ebenfalls rasant steigende Ölpreis können der entscheidene Grund für die Preisblase sein, auch wenn sie einen gewissen Einfluß haben. Vielmehr sorgt die lockere Geldpolitik der Notenbanken für Spekulationen auf den Märkten für Rohstoffe und Grundnahrungsmittel.

 So weist die Welthungerhilfe darauf hin, dass »international agierende Anleger« wegen der »lockeren Geldpolitik der Zentralbanken« mehr Mittel zur Verfügung haben. Diese Geldschwemme, die ganz besonders von den Zentralbanken in den USA, Japan und Großbritannien ausgeht, in geringerem Maße auch von der Europäischen Zentralbank (EZB), wird immer stärker auch in nachwachsende Rohstoffe investiert. So hatten sogar schon deutsche Unternehmen gewarnt, dass das viele Geld nicht produktiv sondern oft nur noch spekulativ angelegt wird.

Zu einem ähnlichen Schluß kommt die Journalistin Martine Bulard in der Le Monde diplomatique. In ihrem Beitrag widmet sie sich vordergründig Chinas Finanzpolitik, doch zugleich versucht sie einen Abriss der weltweiten Wirtschaft- und Finanzpolitik darzulegen. Diese ist nach wie vor von Instabilität geprägt, die Ungleichgewichte und Interessensgegensätze zwischen den Wirtschaftsräumen sind nicht beigelegt.

Die Dollarflut heizt in Hochzinsländern tatsächlich die Spekulation mit Staatsschulden an. Um den Schuldendienst zu gewährleisten, setzen Regierungen und IWF überall einen harten Sparkurs durch. Solange das Wachstum nicht in Gang kommt, fließt das Kapital außerdem in Rohstoffe (Gold, Erdöl, Kupfer und so weiter) sowie in landwirtschaftliche Produkte, deren Preise in die Höhe schießen. Das beunruhigt inzwischen sogar die Weltbank, die weitere Hungerrevolten fürchtet.

Kommentar

Die für Millionen von Menschen lebensbedrohliche Preisspirale hat in erster Linie zwei Ursachen. Erstens die große Menge an Kapital, die nicht sinnvoll angelegt werden kann und die Triebfeder jeder Spekulationsblase ist. Dieses Problem wird durch die lockere Geldpolitik insbesondere der USA, aber auch anderer Staaten massiv verstärkt. Der eigentliche Skandal aber ist zweitens, daß die Lebensmittelpreise auf den Weltmärkten keiner ernsthaften Regulation unterliegen. Schließlich hängt das Überleben zahlreicher Menschen davon ab. Insbesondere derjenigen, die einen Großteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen und in Ländern leben, die stark abhängig von Importen sind. Hier zeigt sich dramatisch, daß sämtliche Bemühungen um Regulation von Märkten in Rhetorik stecken geblieben sind.

Steigende Nachfrage oder sinkendes Angebot u.a. durch Biospritproduktion mögen einen langfristigen Einfluß haben; die extremen Preisausschläge 2007/08 und jetzt 2010/11 lassen sich damit nicht erklären. Zwar hat der aktuell steigende Ölpreis ebenfalls eine direkte Auswirkung auf die Lebensmittelpreise, die Ursache liegt jedoch in der gleichen Spekulationsblase. Somit steht zu befürchten, daß wir vor einer vergleichbaren Krise wie vor drei Jahren stehen. Erst das Platzen der aktuellen Preisblasen wird die Lebensmittelpreise auf ein akzeptableres Niveau sinken lassen. Wo dieser erneute Crash beginnen könnte, ist reine Spekulation: Vielleicht durch das Platzen der chinesischen Immobilienblase und dem daraus folgenden weltweiten Abzug von chinesichem Kapital.

Die Liste der Länder, in denen es in jüngster Vergangenheit zu inneren Unruhen gekommen ist, bleibt unvollständig: Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Bahrain, Jemen, Syrien, Iran, Uganda, Burkina Faso, Mosambik, Elfenbeinküste, Nigeria. Zweifelsohne haben die Revolten auch andere, innenpolitische Gründe. Existentielle Not aber radikalisiert diese Aufstände in einem nicht zu unterschätzenden Ausmaß. Hier bleibt nur Emilia Casella von UN-Welternährungsprogramm zur Lage im Jemen zu zitieren: »Die Menschen haben demnach drei Optionen: Revolte, Auswandern oder Sterben«.

Kommentare

Keine Rendite auf Kosten der Ärmsten!

Jeder kann auf Geldanlagen verzichten, die Mensch und Umwelt schaden! Keiner braucht Finanzprodukte, die auf Kosten der Ärmsten mit Nahrungsmitteln spekulieren! Dafür setzt sich die Initiative www.handle-fair.de ein.