Presseschau Beitrag

Sprung in die Vergangenheit

Die Wahlen in Ungarn zeichnen die politische Landkarte Ostmitteleuropas neu
Die paramilitärische Ungarische Garde (Magyar Gárda) bedroht Roma und Juden
Die paramilitärische Ungarische Garde (Magyar Gárda) bedroht Roma und Juden

Europa ignoriert, wie Ungarns neue Regierung nationalistische Brandstiftung betreibt, meint Susanne Scholl in den Salzburger Nachrichten. Das Land hatte bei den jüngsten Wahlen den größten Rechtsruck in Europa erfahren: Die rechtspopulistische Fidesz von Viktor Orban erhielt eine Zweidrittelmehrheit, mit der sie die Verfassung ändern kann, daneben erhielt die rechtsextreme Jobbikpartei 12% der Stimmen. Die neue Fidesz-Regierung erließ ein Gesetz, welches den ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern die ungarische Staatsbürgerschaft ermöglicht; daraufhin erließ das slowakische Parlament ein Gesetz, welches ihre Staatsbürger in diesem Fall ausbürgert.

Mögliche territoriale Ansprüche an eben diese Nachbarn könnten sich dem ziemlich schnell anschließen - denn das Ungarn der Fidesz und Jobbik liebäugelt durchaus auch mit der Idee vom Großungarn - einer ziemlich erschreckenden Reminiszenz an die 30er und 40er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts.  Die drei Mitglieder der europäischen Union könnten also am Beginn des 21. Jahrhunderts einen neuen Konflikt mitten im Herzen Europas vom Zaun brechen, der ganz Europa in einen gefährlichen Strudel reißen könnte.

Susanne Scholl in den Salzburger Nachrichten

Matthias Kolb verdeutlicht in der Süddeutschen Zeitung das Selbstverständnis der erstarkten Rechten: Viktor Orban strebe ein Ende der Lagerbildung an, also eine Einparteienherrschaft; Jobbik indes droht ihre politischen Gegner ins Gefängnis zu werfen. Auch die Weltwirtschaftskrise hat beim Wahlausgang eine Rolle gespielt, so Deutschlandfunk Hintergrund. Die sozialliberale Regierung erhöhte zur Konsolidierung des Staatshaushalts die Mehrwertsteuer auf 25% und kürzte die öffentlichen Gehälter. Der vormalige Aufschwung in Ungarn sei von der Weltwirtschaft sehr abhängig, da das Land zur »verlängerten Werkbank« internationaler Konzerne geworden sei. Die Gefahr eines autoritären Parteiensystems verdeutlicht auch der Literaturwissenschaftler Laszlo Földenyi.

Neben der nationalistischen Staatsbürgerschaftspolitik der neuen Regierung, die die Region in eine Krise ethnischer zwischenstaatlicher Konflikte zu stürzen droht, betreibt Jobbik eine offen antisemitische und antiziganistische Politik. In einem Beitrag des Deutschlandfunks beschreiben Juden in Ungarn, wie sie sich in dem Land nicht mehr sicher fühlen. Hier wird auch das ungarische Bildungssystem für die repressive Stimmung verantwortlich gemacht. Der Schriftsteller György Konrád sieht in den Studenten gar die wichtigste Wählergruppe der Jobbik, welche ihr gar eine »intellektuelle Elite« bescheren könnte:

Diese Mischung aus Rassismus, Nationalismus und Umweltschutz findet immer mehr Anhänger – vor allem unter jungen Ungarn. Auch an den Universitäten.