Presseschau Beitrag

Stille Post

Wie Medien und Politik eine Bombe erfinden
Kurz vor der Exposion der "Splitterbombe"
Kurz vor der Exposion der "Splitterbombe"

Auf der Demonstration des Bündnisses Wir zahlen nicht für Eure Krise am 12.6. in Berlin explodierte ein unbekannter Gegenstand direkt neben zwei Polizisten, die dadurch verletzt wurden. Eine Phalanx von Medien und Politik spricht auf einmal von einer »Splitterbombe«, die Bildzeitung von einem »Bombenanschlag«, es wird eine Nähe zum Terrorismus gesehen, Bundesinnenminister de Maizière sieht im Bundestag die Demokratie bedroht. Doch mit ein wenig Internetrecherche hätte sich rausfinden lassen, daß es sich mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit um Pyrotechnik handelt, die in Deutschland nicht erhältlich ist. Die taz hat sich um Aufklärung bemüht und nachgezeichnet, wie durch schlechte Recherche und stille Post eine Falschmeldung produziert wird, die bis in den Mund des Bundesinnenministers gelangt.

Dies steht in guter Tradition: Bei der Demonstration 2007 beim G8-Gipfel in Rostock wurde aus Seifenlauge der Clowns Army ein Säureattentat, beim 1.Mai 2009 aus CS-Gas ein Giftgas-Angriff. Die Zeitschrift Hintergrund hat eine quellenreiche Chronolgie der Falschmeldungen der letzten Jahre zusammengestellt. Darin wird deutlich, daß trotz der Parteilichkeit und Einseitigkeit vieler Polizeimeldungen bei Demonstrationen Medien diese immer wieder ungeprüft verbreiten und aufbauschen.


Selbst wenn die Meldungen später korrigiert werden, bleibt durch Falschmeldungen in der öffentlichen Wahrnehmung ein Bild bestehen, daß politische Kundgebungen ein Ort der Gewalt durch Demonstranten seien. Eine solche Berichterstattung ist nicht nur äußerst fragwürdig. Wenn dadurch Bürger davon absehen zu demonstrieren, handelt es sich um eine indirekte Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit (Artikel 8.1). Das Bundesverfassungsgericht hatte kürzlich geurteilt, daß Durchsuchungen vor Demonstrationen geeignet seien, eine »einschüchternde, diskriminierende Wirkung zu entfalten« und hat daher die Hürden dafür erhöht. Eine solche einschüchternde Wirkung kann aber auch eine falsche Berichterstattung haben.