Presseschau Demokratie

Zeitenwende in Europa?

François Hollande wird französischer Staatspräsident in einem konservativ geprägten Europa
Siegesfeier in Paris
Siegesfeier in Paris Bild von rsepulveda

Frankreich hat gewählt, François Hollande ist neuer französischer Staatspräsident. Trotz seiner Ankündigung, die europäische Sparpolitik in Frage zu stellen und Reiche stärker zu besteuern, gilt er nicht gerade als ein Revolutionär. Philip Stephens sieht ihn in der Financial Times gar als »moderaten Konservativen«, da er »das Modell der sozialen Marktwirtschaft aus dem Nachkriegseuropa zurückfordert«. Der Autor bezweifelt, daß Hollande sich gegen das Dogma der Sparpolitik durchsetzen kann:

Ob links oder rechts, ob mit oder ohne Euro, die Eliten an der Macht huldigen dem Altar der Sparpolitik. Regierungen dürfen sich hier ein bisschen schräg stellen, dort angedeutete Akzente setzen. Doch niemand wagt es, den Katechismus der Haushaltsdisziplin in Frage zu stellen.

Dem setzt Javier Valenzuela in El País entgegen, daß es Zeiten gebe, in denen schon gesunder Menschenverstand revolutionär anmute. Denn Hollande stemme sich gegen den wirtschaftspolitischen Selbstmord Europas, von der Sparpolitik verursacht. Diese sei das Resultat einer falschen Diagnose. Die Wachstumsschwäche Europas sei vielmehr das eigentliche Problem und nicht die Verschuldung. Weiterlesen … »

Rechter Hickhack

Frankreich vor der Präsidentschaftswahl
Neuer Hausherr gesucht: Palais de l’Elysée
Neuer Hausherr gesucht: Palais de l’Elysée Bild von EisenPhotoVideo

Der amtierende Präsident Frankreichs rückt im Wahlkampf deutlich nach rechts. Zwar hat Sarkozy seine erneute Kadidatur für die Wahl im April noch immer nicht offiziell verkündet, aber das ist wohl eher eine Formalität. Schon jetzt versucht er mit antiliberalen Forderungen zu punkten, indem er sich gegen die Homo-Ehe positioniert. Außerdem soll die Abschiebung illegaler Immigranten erleichtert und der Druck auf Arbeitslose erhöht werden. Der Grund dieses Kurses dürfte nicht zuletzt in den schwachen Umfragewerten zu suchen sein, zumal die Kandidatin der rechten Front National, Marine Le Pen, nur knapp hinter ihm liegt und sich wiederum weniger radikal als einst ihr Vater gibt. Vorne liegt seit längerem der Sozialist Hollande. Er will Steuererhöhungen für Reiche, mehr Geld für Bildung, die starke Abhängigkeit von der Atomkraft deutlich verringern und zahlreiche Meiler abschalten.

Konservative und Fundamentalisten sind nicht das gleiche

Zum Wahlergebnis in Ägypten
Wahllokal in Ägypten
Wahllokal in Ägypten Bild von Jonathan Rashad

Die ersten freien Parlamentswahlen in Ägypten seit Jahrzehnten endeten im Januar. Der renommierte Nahost-Fachmann Olivier Roy sieht darin ein Aufbrechen der vorherrschenden politischen Kultur der letzten 60 Jahre. Wie zu erwarten war, triumphierten die sog. Islamisten (47% der Stimmen), sprich Kulturkonservative mit religiös unterfütterten politischen Vorstellungen. Weil sie jahrzehntelang vom politischen Geschehen in Ägypten ausgegrenzt wurden, besitzen sie große Glaubwürdigkeit bei den Wählern. Überraschend dagegen ist der Wahlerfolg der Salafisten (24,6% der Stimmen), also Fundamentalisten, die sich an ihrer Vorstellung, wie das Gemeinwesen zu Mohammeds Zeiten ausgesehen haben soll, orientieren. Dass sich diese Gruppe, die eigentlich parlamentarische Demokratie bzw. eine pluralistische Gesellschaft überhaupt ablehnt, gezwungen sieht, an den Wahlen teilzunehmen, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, spricht für die Verankerung demokratischen Denkens in der ägyptischen Öffentlichkeit. Weiterlesen … »

Eine lange Geschichte

Schulden als Hebel der Umverteilung
Oligarchie oder Demokratie?
Oligarchie oder Demokratie? Bild von CmdrCord

Der Ökonom Michael Hudson beschreibt die Geschichte der Staatsschulden seit ihren Anfängen bei den Sumerern über die Antike und Frühe Neuzeit bis heute. Immer wieder stösst er dabei auf Konflikte zwischen Gläubigern und der breiten Masse der Bevölkerung. Der Staat nimmt dabei je nach Machtverteilung eine bestimmte Rolle ein. Mal dient er einer kleinen Oligarchie als Mittel zur Eintreibung ihrer Gelder, mal verfügt er einen allgemeinen Schuldenerlass zugunsten der Vielen. Heute wäre es seine Aufgabe, entweder letzteres durchzuführen oder zumindest über eine angemessene Besteuerung einen Teil der Vermögen wieder der Allgemeinheit zuzuführen.

Es gehört seit der Antike zu den geschichtlichen Konstanten, dass die Interessen von Gläubigern in Widerspruch zu denen der Demokratie wie auch des Königtums gerieten, die in der Lage gewesen wären, der finanziellen Eroberung der Gesellschaft und einer nahezu autonomen Dynamik Grenzen zu setzen, welche den ökonomischen Überschuss in zinstragende Schuldtitel verwandelte.

Gelbe Gefahr

Eine neue liberale Partei?
Konkurrenz für die FDP?
Konkurrenz für die FDP? Bild von CmdrFletcher

Nicht zuletzt der relativ knapp gescheiterte Mitgliederentscheid zur Eurorettung in der FDP hat gezeigt, dass das liberale Lager im Land in Unruhe geraten ist. Aus linksliberaler Richtung droht Konkurrenz von den Piraten - und rechts entwickelt sich eine neue Alternative: die Freien Wähler. Dabei ist diese keineswegs neu, sondern schon seit Jahrzehnten aktiv. Das allerdings bisher nur in der Kommunalpolitik, wo sie fest verwurzelt ist. Hubert Aiwanger, ihr Chef, versucht sich nun an einer strategischen Neuausrichtung: Hinein in die Parlamente auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene. Dazu will er auch bekannte Köpfe gewinnen, gerade ist der Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel eingetreten, möglicherweise folgt ihm bald Paul Kirchhof.

Nicht zuletzt bedingt durch den weitgehend dezentralen Aufbau ist das inhaltliche Profil der FW nicht genau zu bestimmen, Aiwanger selbst bezeichnet sie als liberal-konservativ. Die eigentliche Partei umfasst etwa 5.000 Mitglieder, die Vereinigungen insgesamt, die mit der Partei nur recht lose verbunden sind, aber 280.000. Allerdings hat sich der starke Landesverband Baden-Württemberg wegen der Neuorientierung von der Parteigründung klar distanziert. Weiterlesen … »

Aufruhr in der Steppe

Haben die Unruhen in Kasachstan eine internationale Dimension?
Öltransport in Kasachstan
Öltransport in Kasachstan Bild von Duccio Aiazzi

In der ölreichen Region im Südwesten Kasachstans kam es zu schweren Unruhen, bei denen 15 Menschen starben. Seit Monaten protestieren Ölarbeiter für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen; Gewerkschafter sowie deren Angehörige wurden ermordet. Schwerpunkt der Proteste ist das nahe dem Kaspischen Meer gelegene Djanaosen. Die Regierung in Astana will die Lage vor den Parlamentswahlen beruhigen, scheint aber hin- und hergerissen zwischen Repression durch Nachrichtensperre sowie Truppen und Gesten der Schlichtung. Dabei bleibt vieles im Unklaren: Laut Chistian Esch in der Berliner Zeitung richten sich die Proteste auch gegen chinesischen Einfluss – eine wichtige Ölfirma in der Region ist ein kasachisch-chinesisches Joint-Venture. Ulrich Heyden gibt dagegen auf Telepolis Stimmen wieder, nach denen Oligarchen im Exil sowie »Kräfte im Westen« den Widerstand in der Region unterstützen: Ob der Protest der Ölarbeiter eine internationale Dimension hat, bleibt allerdings genauso unklar wie der genaue Ablauf der Ereignisse.

Kasachstan war bislang im instabilen und rohstoffreichen Zentralasien, in dem verschiedene Mächte um Einfluß ringen, ein eher stabiles Land. Der Staat erfuhr durch die OSZE-Präsidentschaft trotz einer Ein-Partei-Diktatur internationale Anerkennung.

Jahrmarkt der Knallchargen

Die Selbstdemontage der Kandidaten für die US-Vorwahlen ist unterhaltsam
Bitte nicht füttern: Republikaner bei der Kandidatenkür
Bitte nicht füttern: Republikaner bei der Kandidatenkür Bild von portable soul

Die Repulikanische Partei in den USA sucht nach einem Herausforderer von Barack Obama für die nächsten Präsidentschaftswahlen. Gleichzeitiges Denken und Reden überfordert das Gros des Kandidaten jedoch. So konnte der Texaner Rick Perry sich nicht erinnern, welche drei Behörden er eigentlich abschaffen will; ausgerechnet nach Bildung fällt ihm die dritte in einer Kandidatendebatte nicht ein. Hoppla! Michel Bachmann glaubt, Impfungen können zu Schwachsinn führen, welcher bei ihr offenbar schon eingesetzt hat. Indes weist Herman Cain darauf hin, er wisse den Namen des Präsidenten von »Ubeki-beki-beki-beki-stan-stan« nicht. Wenn Mitt Romney in einer Kandidatendebatte um 10.000 Dollar wetten will, darf dies als fast schon normal gelten.

Einige Kommentatoren erkennen einen Niedergang der Republikaner und fragen sich, woher eigentlich all diese Knalltüten kommen. Jörg Häntzschel sieht in der Süddeutschen Zeitung eher ein neues Unterhaltungsformat im Fernsehen im Entstehen, eine Art Kandidatenkür-Seifenoper. Dieser Jahrmarkt der Eitelkeit und die daraus folgende Selbstdemontage vieler Kandidaten eröffnet einem in Affären erfahrenen Insider der Washingtoner Parteiaristrokratie die große Chance: Newt Gingrich war schon zu Bill Clintons Zeiten einflussreicher Abgeordneter und Meister der Doppelmoral, der Clintons außereheliche Eskapaden geißelte, während er selber eine Affäre hatte.

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