Presseschau Statistik

Zwang zur Selbstoptimierung

Grenzenloses Wachstum als kulturelles Leitbild
"Das Wirtschaftswachstum bringt uns immer näher an die Funktionsgrenze des Systems."
"Das Wirtschaftswachstum bringt uns immer näher an die Funktionsgrenze des Systems." Bild von Zanthia

Als die Folgen der ausufernden Industriegesellschaft als Raubbau an Natur und Mensch in den 70er Jahren unübersehbar wurden, stellte sich erstmals einer breiten Öffentlichkeit die Frage nach den Grenzen des endlos scheinenden Wirtschaftswachstum. Trotz des erreichten Zenits der Ölförderung zählt Harald Welzer heute jedoch zu den eher wenigen Intellektuellen, welche dieses spezifische Fundament des Kapitalismus kritisieren.

Das fehlende Bewußtsein über die Grundlagen unseres modernen Lebens beruht auf der völligen Verinnerlichung und Affirmation des Wachstums – mit dieser Überlegung erweitert Welzer in zwei jüngst erschienenden Schriften in den Blättern und dem SZ-Magazin sein Forschungsgebiet von einer Wirtschafts- zu einer allgemeinen Gesellschaftskritik.  Diese leitet er aus der Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus der vergangenen 200 Jahre ab. So gelingt eine Kulturkritik, die viele Eigenschaften des Selbst- und Weltbildes des modernen Menschen herausschält: Dem im ewigen Werden der Waren- und Selbstproduktion gefangenen Menschen der Leistungsgesellschaft. Weiterlesen … »

Demografie nüchtern betrachtet

Von Mythen und Realitäten

Seit Malthus Tagen ist die Demografie ein heiß diskutiertes Thema. Wie und ob die Bevölkerung wächst, wo sie lebt – und nicht zuletzt, was das für Auswirkungen für die Gesellschaft hat. Viele düstere Prophezeihungen erweisen sich aber bei genauerer Betrachtung als unzutreffend, wie Gérard-François Dumont betont. Denn die Weltbevölkerung explodiert keineswegs – vielmehr hat sich das Wachstum seit den 60er-Jahren verlangsamt. Und Durchschnittszahlen verschleiern die völlig verschiedenen Situationen in den einzelnen Ländern. Hinzu kommt die Veränderung durch eine zunehmende Alterung.

Die Migrationsströme sind ebenfalls ein interessanter Punkt. Zahlreiche Länder sind gleich dreifach von ihnen betroffen: Als Auswanderungs-, Durchzugs- und Einwanderungsland. Die meisten dieser Wanderer sind auch keineswegs illegal in ihrer neuen Heimat.

Asiatische Giganten

Der Wachstumswettlauf zwischen Indien und China
Werden sie auch vom Aufschwung profitieren? <br/>Foto von roblerner
Werden sie auch vom Aufschwung profitieren? Foto von roblerner

In vielen Punkten ist China Indien weit voraus: Das BIP ist absolut genauso höher wie pro Kopf, es gibt weniger Analphabeten, solidere staatliche Finanzen und eine bessere Infrastruktur. Indien wiederum kann auf eine günstigere demografische Entwicklung und weitverbreitete Englischkenntnisse verweisen.

Langfristig ist aber klar, dass beide die Giganten der Zukunft sein werden. Schätzungen gehen davon aus, dass China die USA bereits in fünf Jahren als größte Wirtschaft der Welt ablösen werden. Deutschland haben beide ohnehin schon vor geraumer Zeit hinter sich gelassen. Weiterlesen … »

Erkenntniswert: Null

Religion im neuen Zensus
Noch immer das Leitbild unserer Gesellschaft? <br/>Foto von Peter Sieling
Noch immer das Leitbild unserer Gesellschaft? Foto von Peter Sieling

Offenbar ist für den Staat die Weltanschauung seiner Bürger nur relevant, wenn diese einer offiziell anerkannten Kirchengemeinschaft oder »sonstigen« Religion  angehören. Gänzlich unter den Tisch fallen so etwa Atheisten. Und deren Zahl beläuft sich in Deutschland immerhin auf etwa 25 Prozent, laut einer Erhebung der EU aus dem Jahr 2005.

Auf diese Weise steht das Ergebnis quasi schon vorab fest: Im wesentlichen wird die Zugehörigkeit zu einer Kirche erfasst – das hätte man aber einfacher haben können, ein Blick auf die entsprechende Statistik zur Kirchensteuer hätte genügt. Dass die Mitgliedschaft in einer Kirche aber nicht ohne weiteres mit einer (oder mehreren) Weltanschauungen gleichzusetzen ist, liegt auf der Hand: Zweifel, Bequemlichkeit, Tradition oder berufliche Gründe werden so nicht abgebildet. Verbirgt sich dahinter also eine politische Absicht? Oder gar die Angst, den erheblichen »Nicht-Glauben« in unserer Gesellschaft zu thematisieren? Weiterlesen … »

Der Untertan

Eine Analyse der Leser von Thilo Sarrazin

Sehr interessant ist die Aufschlüsselung der Eigenschaften von Buchkäufern, die Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung aus Daten der Gesellschaft für Konsumforschung gewinnt – handelt es sich doch um eine Analyse der Käufer des Buches von Thilo Sarrazin, »Deutschland schafft sich ab«. Unschwer zu erkennen ist der Archetyp des deutschen Spießbürgers: Risikoscheu, häuslich, karriereorientiert, zugleich jedoch eher gebildet und besser verdienend; dabei handelt es sich primär um die Leserschaft der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Welt und nicht der Bild-Zeitung.

Die Grundhaltung könnte im Gegenteil eher Anlass sein, eine gewisse Schizophrenie zu diagnostizieren: ein eiserner Wille, an der Spitze zu stehen - aber bitte Veränderung? Eine Leistungselite, die das Wohnzimmersofa nicht mehr verlässt?

Der Extremismus der Mitte

Rechtsradikale Einstellungen nehmen nach der Weltwirtschaftskrise in Deutschland zu

Erschreckend und zugleich wenig überraschend sind Studien über Fremdenfeindlichkeit und Ressentiments seit Theodor Adornos »Studien zum autoritären Charakter«. Seitdem hat Deutschland sich verändert, jedoch zeigt auch die Studie Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, daß ein Viertel der deutschen Bevölkerung ausländerfeindliche Einstellungen hat; der Anteil der Befürworter einer Diktatur sank von 2002 bis 2008 von 7,7% auf 3,7%, stieg 2010 allerdings wieder auf 5,1%. In Bezug auf die meisten reaktionären Einstellungen sind seit der letzten Erhebung die Werte gestiegen: Die Autoren der von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie folgern daraus, daß die Weltwirtschaftskrise zu einer Verunsicherung geführt habe. Weiterlesen … »

Der lange Hebel

Mit neuen Modellen gesellschaftliche Entwicklung besser erfassen

Statistik mag den meisten Zeitgenossen nicht als das spannendste Thema erscheinen; doch sie erfasst nicht nur bestehende Verhältnisse, sondern bestimmt auch das politische und wirtschaftliche Handeln. So kann die Öl-Katastrophe am Golf von Mexiko im Bruttoinlandsprodukt (BIP) positiv zu Buche schlagen, da die Aufräumarbeiten Investitionen sind, während der ökologische Schaden nicht erfasst wird. Denn die Natur wird hier nicht als endliche Ressource gesehen. Auf der anderen Seite geht ehrenamtliches Engagement nicht in die Rechnung ein. Zahlreiche Ökonomen haben das Problem erkannt und arbeiten an alternativen Modellen. Jedoch kann keines davon völlig objektiv sein; so ist umstritten, welche Indikatoren erfasst werden, und ob die subjektive Lebenszufriedenheit einbezogen werden soll. Ein neues Modell ist jedoch die Basis für eine nicht rein an Wachstum orientierte Wirtschaftsweise. Hans Diefenbacher und Roland Zieschank gaben in der Le Monde diplomatique einen Überblick über die Debatte.

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