Magazin Beitrag

Paradise lost

Die indonesische Zentralregierung geht militärisch gegen zivile Selbstbestimmungsbestrebungen in West-Papua vor
Indonesien
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Über außereuropäische Konflikte wird derzeit ausgiebig berichtet. Ein Konflikt, der schon seit Monaten eskaliert, fand dagegen überhaupt keine Beachtung in den deutschen Medien: Der Disput zwischen der indonesischen Zentralregierung und der am östlichen Rand des Inselreichs gelegenen Provinz West-Papua auf Neuguinea. Dabei ist Neuguinea die zweitgrößte Insel der Welt und damit mehr als doppelt so groß wie Deutschland.

Seit Jahrzehnten streitet in dieser Provinz die Bevölkerung für ihre Unabhängigkeit von Indonesien, im letzten Jahr ist der Konflikt nun eskaliert: Indonesische Soldaten und Polizisten foltern und vergewaltigen, brennen Dörfer nieder und vernichten Vieh und Acker – die Gewalt gegen die Bevölkerung ist systematisch. Der Nationale Menschenrechtsausschuss berichtet von einem 70-prozentigen Zuwachs von Fällen von Gewaltanwendung. Die meisten davon werden von Sicherheitsbeamten begangen. Mindestens einhundert friedliche Demonstranten, die an Kundgebungen für die Unabhängigkeit teilnahmen, wurden festgenommen und zu Freiheitsstrafen verurteilt. Das Muster der staatlichen Vergehen zielt auf die Einschüchterung der Bevölkerung, indonesische Militärs werden ausserdem der illegalen Abholzung und des Drogenschmuggels bezichtigt. Als diese Vorwürfe bekannt wurden, protestierte der Vizevorsitzende des Justizausschusses des indonesischen Parlaments gegen diese systematische Gewaltanwendung durch den Staat und bezeichnete sie als »nicht angemessen für eine Demokratie.«

Im November 2010 veröffentlichte der Journalist Allan Nairn dann geheime Regierungsakten, die zeigen, dass die indonesische Spezialeinheit Kopassus Morde und Entführungen begeht, Kirchen angreift und zivile Dissidenten ausdrücklich zu ihrem Feind erklärt. Das indonesische Militär hat seit der Inbesitznahme West-Papuas 1963 mutmaßlich zehn- bis hunderttausende Zivilisten getötet. Die Regierung versucht West-Papua für aussenstehende abzuriegeln. Für Ausländische Journalisten ist die Einreise seit 2003 verboten.

Die in den Regierungsakten enthaltene Liste von »feindlichen« Personen führt u.a. den Vorstand der Baptistenkirche Papua, Studentenführer, Rechtsanwälte, lokale Abgeordnete und weitere Kreise der Zivilgesellschaft. Sie werden unter Druck gesetzt durch ständige sichtbare Überwachung und regelmäßige Morddrohungen. Die Überwachung wird ausserdem auf die ganze Bevölkerung ausgedehnt, indem ein geheimes Netzwerk von Informanten aufgebaut wird, das Bericht erstattet, wenn Unabhängigkeitsanhänger Mobiltelefone kaufen oder Autos mieten.

Kontext

Die politische Unterdrückung und ökonomische Ausbeutung innerhalb eines Landes durch andere Teile des Landes wird innerer Kolonialismus genannt. West-Papuas natürliche Vorkommen werden abgebaut und fortgebracht, ohne dass dessen Bevölkerung an den Erträgen teilhat. Nach der Annexion Papuas durch Indonesien wurden die technischen Anlagen vor Ort demontiert und auf die Insel Java gebracht, Bücher über Papua wurden verbrannt und das Wort Papua wurde verboten. Java ist die politisch und kulturell vorherrschende Insel Indonesiens mit der Hauptstadt Jakarta. Das Prinzip des inneren Kolonialismus ist zum Beispiel auch aus der Geschichte Pakistans bekannt: Das heutige Bangladesch war bis 1971 Teil Pakistans, spaltete sich aber nach jahrzehntelanger Unterdrückung und Ausbeutung durch den Teil, der das heutige Pakistan ausmacht, ab.

Indonesien kämpft seit seiner Gründung mit Zerfallserscheinungen. Der Staat, bestehend aus über 17.000 Inseln über eine Ausdehnung von 1800 mal 5000km, ist schwer zusammenzuhalten. Nicht selten ist dafür Gewalt nötig. Über die symbolische Bedeutung West-Papuas für Indonesien als äußerste Provinz im Osten hinaus ist es für die javanische Wirtschaft und den indonesischen Staat von sehr großer wirtschaftlicher Bedeutung, denn es ist reich an Metallen (darunter die größte Goldmine der Welt), Erdgas, Erdöl, Holz und frisch gerodetem Ackerland. Ganz ähnlich ist die Situation auch in der westlichsten Provinz Aceh auf der Insel Sumatra – auch hier gibt es Unabhängigkeitsbestrebungen und große Bodenschätze. Den Präzedenz- und, für Indonesiens Zentralgewalt, Angstfall hat Ost-Timor geschaffen. 1997 wurde es als souveräner Staat international anerkannt, nach jahrzehntelangen Abspaltungsbestrebungen und einem besonders blutigen Unabhängigkeitskrieg mit der indonesischen Staatsgewalt.