Magazin Beitrag
Terrorismus
Und täglich grüßt das Murmeltier. Kaum kommen bei einem wahrscheinlich islamistisch motivierten Anschlag in einem westlichen Land nichtmuslimische Menschen ums Leben, ist die Aufregung mal wieder groß. Eine ganze Religionsgruppe wird unter Kollektivverdacht gestellt und die medial geschürten Ängste der Menschen werden instrumentalisiert, um von wichtigeren Themen abzulenken und die Grundrechte immer weiter einzuschränken. Ist die Debatte über islamistischen Terrorismus eine Phantomdebatte? Ja und nein. Dennoch sollten wir uns um andere Themen Sorgen machen und uns nicht ins Bockshorn jagen lassen.
Es ist ja vollkommen richtig – wenn man sich einmal die weltweite „Statistik für Terroranschläge mit Todesopfern“ anschaut, fällt auf, dass ein übergroßer Teil der Täter muslimischen Glaubens ist. Das gilt jedoch in eben so großem Maße für die Opfer. Terrorismus ist heute kein Phänomen der entwickelten Länder aus dem Norden. Die Liste der Staaten, in denen die meisten tödlichen Terroranschläge verübt werden, wird vom Irak, Syrien, Nigeria, Afghanistan, dem Jemen und Somalia angeführt. Länder des Nordens nehmen in dieser Statistik die letzten Plätze ein. Wie diese Liste eindeutig zeigt, ist Terrorismus und erst recht tödlicher Terrorismus ein Phänomen von Regionen, in denen Bürgerkriege herrschen – Bürgerkriege, die unter anderem auch durch die Außen- und Sicherheitspolitik westlicher Staaten ausgelöst oder zumindest angeheizt wurden und werden.
Man könnte sich an dieser Stelle vortrefflich über die Definition von Terrorismus streiten. Sind Anschläge von Bürgerkriegsparteien generell terroristischer Natur? Wenn dem so wäre, müssten die Terrorstatistiken der letzten Jahrzehnte wohl neu geschrieben werden. Alleine die Roten Khmer haben im kambodschanischen Bürgerkrieg wohl mehr Menschen umgebracht, als es die mörderischen IS-Kämpfer in Jahrzehnten schaffen könnten. Aber Terrorismus ist nun einmal – so zumindest unsere Lesart – muslimisch und nicht buddhistisch wie die Roten Khmer. Selbstverständlich gibt es auch christlichen oder jüdischen Terrorismus oder haben wir schon Irgun und Gusch Emunim vergessen?
Anders als es die öffentliche Wahrnehmung nahelegt, wurden laut Europol-Statistik in den letzten Jahren und Jahrzehnten nur ein verschwindend geringer Teil der Terroranschläge auf europäischem Boden von Muslimen verübt – aktuell sind es weniger als zwei Prozent. Der Großteil der Terroranschläge geht auf das Konto von Separatisten, Nationalisten, Rechts- und Linksextremisten – allesamt christlichen Glaubens. Richtig ist jedoch auch, dass nichtmuslimische Terroristen nur sehr selten religiös motiviert sind. Organisationen wie die korsische Separatistengruppe FLNC bomben nicht für Jesus, sondern für ein unabhängiges Korsika. Inwieweit die Anschläge der Taliban, der Hisbollah oder der Boko Haram nun „rein“ religiös motiviert sind, wäre sicherlich eine interessante Frage, die von Experten einmal beantwortet werden könnte. Wer glaubt, Terrorismus mit Waffengewalt und strengeren Sicherheitsgesetzten bekämpfen zu können, irrt jedoch. Der in einigen arabischen und afrikanischen Ländern grassierende islamistische Terrorismus hat sehr viele Facetten und noch mehr Ursachen. Da gibt es den kulturellen Wandel, den technischen Fortschritt, die Globalisierung, den Freihandel, die Militärpolitik des Westens, die Korruption und Dekadenz der lokalen Eliten, den Mangel an Bildung, die Hoffnungslosigkeit, den Kindereichtum und und und. Das Alles auf die Formel „Islam“ zu verengen, ist schon grotesk.
Differenzierungen passen jedoch nicht in „unser“ Bild und unsere BILD. Jeder bärtige Psychopath im jemenitischen Hinterland wird zum neuen Terrorfürsten hochgeschrieben und jeder Zivilversager mit stechendem Blick und Wut auf den Westen, der sein tristes Dasein in den Banlieues von Paris oder den Plattenbauten von Berlin gegen eine Kalaschnikow in Syrien eintauscht, wird zu einer Bedrohung der freien westlichen Welt erklärt. Fühlen Sie sich durch solche Spinner bedroht? Ich nicht.
Und jede Statistik gibt mir Recht. In Deutschland sind seit der Gründung des Heiligen Römischen Reichs gerade einmal zwei Personen durch einen islamistisch begründeten Terroranschlag ums Leben gekommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es demnächst Sie oder mich trifft, geht rechnerisch gegen null. Da gibt es andere Dinge – man traut es sich in diesem Kontext ja kaum noch zu sagen – die für unser Leben wesentlich bedrohlicher sind. Dazu zählen beispielsweise die multiresistenten Keime in den deutschen Krankenhäusern. Rund 30.000 bis 40.000 Todesfälle gehen hierzulande jährlich auf deren Konto und viele Menschenleben ließen sich ohne Probleme dadurch retten, dass im deutschen Gesundheitssystem simpelste Hygienevorschriften eingehalten werden. Haben Sie schon einmal eine Talkshow gesehen, in der die Fachpolitiker der großen Parteien einen „nationalen Sicherheitsplan“ gefordert hätten, um diesem tödlichen Problem Herr zu werden? Nein, natürlich nicht. Multiresistente Keime tragen weder Bart noch Turban, sondern sind Nebenerscheinungen der Profitmaximierung im Gesundheitssektor – ein denkbar ungeeignetes Feindbild für profitmaximierend denkende Politiker.
Ganz anders der islamistische Terrorismus. Auch wenn er in Europa eher ein Medienphänomen ist, eignet er sich hervorragend, um von wichtigeren Themen abzulenken und ein diffuses Angstszenario aufzubauen, über das man seine ohnehin schon geplanten Gesetze und Reformen durchdrücken kann. Und wenn es keine oder zu wenige zivile Opfer gibt, werden halt „Cyberangriffe“ aus dem Hut gezaubert, die einen „akuten Handlungsbedarf“ für eine stärkere Überwachung des Netzes herleiten. Na wunderbar! Unsere Freiheit im Netz ist also nicht durch NSA, Facebook und Google, sondern durch ein paar bärtige Hanseln mit dem Koran unter dem Arm bedroht?
Angeblich gibt es mal wieder eine „abstrakte Gefährdungslage“, so verlautet es aus Sicherheitskreisen. „Abstrakte Gefährdungslage“ – was ist das? Dieser Begriff wird immer dann aus Ärmel geschüttelt, wenn man keine verifizierbaren Hinweise auf eine Gefährdung hat, aber dennoch glaubt, dass eine solche vorliegt. Literarisches Vorbild für eine „abstrakte Gefährdungslage“ sind Asterix und seine Gallier, die ja glaubhaften Quellen zufolge auch in ständiger Sorge lebten, dass ihnen eines Tages der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Lassen Sie uns keine Angst vor islamistischen Terror und keine Angst davor haben, dass uns der Himmel auf den Kopf fallen könnte, und uns nun wieder wichtigeren Themen zuwenden.