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Außer Kontrolle
Ließe man die Rolle des Verfassungsschutzes bei dem Skandal um den NSU-Komplex außer Acht, so sind bereits die Versäumnisse der Fahndung durch die Polizei kolossal. So fand die Polizei 1998 in der vom Zwickauer Trio zur Bombenbauwerkstatt umfunktionierten Garage in Jena ein Adressbuch, das zum Umfeld der Gruppe in ihrem Versteck in Chemnitz sowie nach Nürnberg, dem ersten Tatort der Mordserie, führte. Mit einem der eingetragenen Kontakte soll Beate Zschäpe nach dem Abtauchen des Trios gar kurzzeitig liiert gewesen sein, doch diese vielsagende Kartei wurde als irrelevant eingeschätzt. Ebensowenig wurde ein 2000 bei eben diesem Mann beschlagnahmtes Adressbuch genutzt, in dem die Namen des Zwickauer Trios inklusive Umfeld eingetragen waren. Bei dem Bombenanschlag in Köln 2004 hätte schlicht der Abgleich einer Tatmitteldatei, also die Prüfung des verwendeten Sprengsatzes, die Namen des Zwickauer Trios ausgespuckt. Und bei der Ermordung der Polizistin Michelle Kiesewetter 2007 in Heilbronn wurde die Überprüfung der bei der Ringfahndung notierten Kennzeichen unterlassen, unter denen sich offenbar das Wohnmobil der Gruppe befand.
Die Ermittlung der Gruppe hätte also keiner Geniestreiche bedurft, sondern lediglich üblicher Methoden. Doch diese vier direkten Spuren wurden nicht als einzige vernachlässigt. Der Patenonkel der ermordeten Polizistin Kiesewetter soll unmittelbar nach der Tat diese in Zusammenhang mit der Ceska-Mordserie gebracht haben. Hinweise auf eine Verbindung zwischen den Morden und dem Attentat in Köln wurden ebenso ignoriert, wie Flugblätter zum Anschlag mit der Aufschrift »Deutsche wehrt Euch«, die Spur zu Fahrradfahrern bei der Mordserie als auch in Heilbronn und Hinweise auf Neonazis beim Mord in Dortmund. Die Phantombilder aufgrund einer Zeugenbeschreibung wurden auf Drängen der bayrischen Polzei von Fahndungsaufrufen entfernt. Dazu schrieb die Süddeutsche Zeitung:
Im Oktober 2011 verlangt die Polizeidirektion Mittelfranken, auf der BKA-Homepage sollten die Hinweise auf die Fahrräder und die Phantombilder unbedingt verschwinden.
Einige nicht verfolgte Spuren ließen sich durch das fehlende Gesamtbild erklären. Doch in vielen Fällen wurden offensichtliche Spuren einfach nicht verfolgt und klassische Fahndungsmethoden nicht ausgeschöpft, obwohl die Ermittler bei diesen Fällen nicht weiterkamen. Erscheint eine solche Serie von Unterlassungen bei den Ermittlungen bereits eigentümlich, sind die Fälle von Datenlöschungen bei Polizei und Verfassungschutz kaum noch zu erklären.
Bereits im Februar wurde bekannt, wie das Bundeskriminalamt (BKA) die Auswertungsstelle der Bundespolizei anwies, Daten der Mobiltelefone eines NSU-Vertrauten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu löschen. Bis heute ist dieser Fall nicht aufgekärt. Vor kurzem dagegen wurde gemeldet, dass beim BKA aufgrund eines technischen Fehlers zwischen Dezemeber 2011 und Februar 2012 die Telekommunikationüberwachung (TKÜ) nicht wie vorgesehen automatisch archiviert wurde, sodass die Daten eines bislang unbekannten Zeitraumes im Jahr 2011 nicht mehr vorhanden sind. Die Behauptung, der Ermittlungsfall des NSU sei davon nicht betroffen, wird jeden Systemadministratoren zum Kopfschütteln verleiten: Weder ist ersichtlich, weshalb TKÜ-Protokolle aus dem Jahr 2011 nicht diesen Fall betreffen, noch ist glaubhaft, dass der Verlust von Daten über drei Monate (!) in einer Bundesbehörde mit über 5000 Mitarbeitern nicht auffällt – in einem Zeitraum, in dem hunderte Ermittler die Hintergründe des Trios rückwirkend aufklären sollen. Das BKA gibt angeblich zehntausende Euro pro Jahr für eine quartalsweise Wartung seines Systems zur TKÜ-Auswertung aus. Bemerkenswert ist das Datum des Stopps der automatischen Datenlöschung, der mit der Aufdeckung der Löschung im Februar quasi einhergeht.
Bei der »Operation Rennsteig« dagegen löschte der Bundesverfassungschutz die Quellakten seiner angeworbenen Spitzel am 10. und 11. November 2001. Einige Klarnamen fehlten von vornherein: Solche Methoden sind ein Hinweis auf eine verdeckte Operation. Doch mittlerweile wurde bekannt, dass dies nicht die einzige Löschung war. Gerade bei einer Person, deren Name nicht mehr rekonstruierbar ist, wurde intern auf die Vernichtung der Akten bestanden:
Auch die Aktenbestandteile von VM TARIF müssen unbedingt vernichtet werden.
Doch damit nicht genug: Auch am 5. Dezember 2011 sowie im April und Mai 2012 wurden bei diesem Amt »Beweismittel zu Abhöraktionen« vernichtet. Entgegen ersten Dementis betrifft die Löschung im Dezember offenbar das Umfeld des NSU. Einige dieser Kontaktleute tauchten bereits in dem Adressbuch aus der Jenaer Garage auf – bis zum heutigen Tag wurden diese jedoch nicht der Unterstützung des NSU beschuldigt und festgenommen, lediglich einige Wohnungen wurden durchsucht. Vom Chef der Blood & Honour in Sachsen, dessen abgehörte Gespräche ebenso gelöscht wurden, fanden die Ermittler Prozessakten in den Trümmern der niedergebrannten Wohnung in Zwickau. Die Vernichtung von Akten beim Bundesamt am 14.11.2011 wurde dagegen auf eine Anweisung des Bundesinnenministeriums von 2005 (!) zurückgeführt, die aufgrund eines »Aktenvernichtungsstaus« nicht vorher ausgeführt werden konnte. Der Hintergrund von vernichteten Aktenkomplexen beim sächsischen Verfassungsschutz bleibt dagegen noch umstritten: Dort sollen tausende Aktenstücke rechtswidrig vernichtet worden sein.
All diese Vernichtungen von Daten und Akten wurde mit technischen Fehlern, Vorschriften des Datenschutzes und Routineabläufen erklärt. Dass es mit dieser Darstellung nicht weit her ist, darüber klärte der oberste Datenschützer Peter Schaar im Interview auf. Denn der Datenschutz gebietet die Unzugänglichmachung von Akten, nicht aber deren Löschung. Vielmehr ist deren Vernichtung laut des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare als Verwahrungsbruch zumeist strafbar und höhle somit den Rechtstaat aus. Als einzige Ausnahme erscheint die Post- und Telekommunikationsüberwachung, auf welche sich das Bundesinnenministerium bei seiner Löschungsanweisung für TKÜ-Daten beruft. Doch durch die willkürlich verspäteten Löschungen liegt auch hier offenbar eine fortlaufende Rechtsbeugung vor.
Tatsächlich ist aber das Bundesverfassungsschutzgesetz in Fragen der Datenlöschung unscharf formuliert: Müssen Dateien spätestens zehn Jahre nach der letzten gespeicherten relevanten Information gelöscht werden, dürfen Akten lediglich gesperrt werden. Der Rechtsbruch durch die Vernichtung der Akten ist hier also unabstreitbar. Doch diese Vorschrift läßt sich durch die Speicherung von Vorgängen in Dateien umgehen – wer immer hier die Relevanz von Anfügungen definiert, kann über deren Löschwürdigkeit frei verfügen. Ein kluges Hintertürchen im digitalen Zeitalter! Insofern stellt sich die Frage, ob die Löschung von Dateien bei diesen Operationen wie bei dem TKÜ-Gesetz protokolliert werden muss.
Müsste für jede dieser Pannen ein Regierungspolitiker zurücktreten, die Kabinettsbänke in Deutschland würden sich leeren. Bislang ist das Ziel der Unterwanderung des Thüringer Heimatschutzes durch die »Operation Rennsteig« ebenso schwammig, wie der Grund für die ungewöhnliche Abschottung und das Ziel dieser offenbar verdeckten Operation ungeklärt bleibt. Mittlerweile haben auch die Abgeordneten des Bundestags-Untersuchungsausschusses keinen Zweifel mehr, dass die Löschung beim Bundesamt für Verfassungsschutz ein Akt der Vertuschung darstellt. Nur einige Medien diffamieren die Annahme einer staatlichen Verstrickung in den NSU-Komplex noch ernsthaft als Verschwörungstheorien. So wird an dem Narrativ gestrickt, dass den Ermittlern ein rechter Hintergrund der Mordserie schlicht unvorstellbar gewesen sei, obwohl den Diensten die Methoden bekannt waren. Genausowenig wollen sich einige Journalisten eine umfassendere Rolle der Nachrichtendienste vorstellen, sondern werten vielmehr Recherchen in diese Richtung ab. Während einige Journalisten sowie viele Parlamentarier quer über Parteigrenzen hinweg bemerkenswerte Arbeit zur Aufklärung geleistet haben, kennt die Obrigkeitsgläubigkeit einiger Medienvertreter keine Grenzen.
Fragwürdig ist nicht nur das Verhalten des Verfassungsschutzes, die merkwürdigen Erklärungen ob der Datenlöscherei und die zahllosen Ermittlungspannen, sondern auch das bisher allzu dürftige Ergebnis der laufenden Ermittlungen: So wurde bisher nicht der Eindruck erweckt, dass die Beziehungsnetze des NSU umfassend aufgeklärt wurden. Wesentliche öffentliche Erkenntnisse wie die Existenz der »Operation Rennsteig« stammten vielmehr aus Medien sowie den Ausschüssen. Bei Treffen südtiroler und bayrischer Neonazis sollen laut eines Berichts des italienischen Inlandsgeheimdienst bemerkenswerte Parallelen zum NSU-Komplex vorgelegen haben: Wenn solche Gruppierungen »exemplarische Aktionen« gegen türkische Kleinunternehmer aufgrund »detaillierter Kartenauswertung« planen, erscheint dies als entscheidenes Puzzleteil für den Nachweis einer Einbindung des NSU in umfassendere Stukturen. Schließlich deckt sich dies exakt mit dem Vorgehen des Zwickauer Trios – auch in Westdeutschland sollen nach einer Zeugenaussage lokale Neonazis beim Auskundschaften der Tatorte geholfen haben.
Neben dem Flugblatt mit der Aufschrift »Deutsche, wehrt euch!« in der Straßenbahn zwischen Köln und Bonn Ende 2004 mit positivem Bezug zum Bombenanschlag tauchte Ende 2011 im nahen Bad Neuenahr bei Bonn ein Partyflyer von Neonazis mit dem Slogan »2 Jahre Braunes Haus – Jetzt knallts richtig« und den Buchstaben NSU auf. Ebenso fand sich ein Gruß an den NSU 2002 in einem Fanzine eines Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern, der Musik mit Bezug zur Terrorserie vertrieb. Die Webseite des Fanzines wurde laut Gamma Leipzig zeitweise von einer Person gehostet, die in der angeführten Adresskartei des NSU in Jena notiert war. Das Fanzine enthielt auch Beiträge zum Konzept des »Führungslosen Widerstandes«. Daneben soll eine Kundgebung in Düsseldorf nach dem dortigen Attentat auf Einwanderer 2000 unter dem Motto »Bombenstimmung in Düsseldorf« beworben worden sein – der NSU benutzte in seinem Bekennervideo ebenso die Wendung »Bombenstimmung für die Keupstraße«. In Nürnberg verteilte ein mittlerweile abgetauchter Neonazi kurz vor dem ersten Mord der Gruppe 2000 Flugblätter zum »Unternehmen Flächenbrand« mit der Aufschrift »Von jetzt an wird zurückgeschossen«. Eben in Nürnberg hatte Beate Zschäpe einen Mitgliedsausweis bei einem Tennisverein unter dem Namen einer Unterstützerin, die mit eben diesem abgetauchen Neonazi in Kontakt stand.
In der Zusammenschau mit älteren, bereits bekannte Fakten verdichtet sich daher das Bild von lokalen Unterstützergruppen. Nach dem Bericht des italienischen Geheimdienstes erscheint gar denkbar, dass diese die Opfer der Mordserie auskundschafteten. Der NSU verfügte über eine umfassende Datenbank mit tausenden Namen und Kartenmaterial aus dem ganzen Bundesgebiet, darunter selbst lokale Aktivistengruppen wie der »Offenburger Arbeitskreis Asyl«.
Darin finden sich Abgeordnetenbüros von DKP bis CSU, türkische Kulturvereine und Geschäfte, Flüchtlingseinrichtungen, islamische Verbände und jüdische Gemeinden.
Fraglich ist, ob diese beinahe nachrichtendienstliche Arbeit wirklich nur aus Telefonbuchdaten herrührt oder dem NSU zugearbeitet wurde. Doch in dieser Kartei findet sich nur ein Mordopfer. Noch immer ist nicht im Ansatz geklärt, wer die Bekennervideos bei einer Zeitung in Nürnberg und bei einer türkischen Gemeinden in Völklingen unfrankiert eingeworfen hat.
Bei den bisher bekannt gewordenen Details zu diesem Ermittlungsfiasko muss sich niemand wundern, warum auch die Brandserie in Völklingen, der Anschlag auf die Wehrmachtsausstellung in Saarbrücken sowie das Attentat auf Einwanderer in Düsseldorf nie aufgeklärt wurden. Sicherlich sind nicht alle Pannen in diesem Fall absichtsvoll. Dafür sind es schlicht zu viele, zumal die Unterlassungen an sehr unterschiedlichen Stellen geschahen. Zweifellos passieren bei Ermittlungen Fehler. Doch zugleich handelt es sich auch um zu viele und zu gravierende Pannen und Vertuschungen in fast allen Aspekten, um in diesem großem Skandal nur ein Aneinanderreihung von Versehen zu erkennen. Denn das wäre dümmer als die Polizei erlaubt. Unendliche Unwahrscheinlichkeit findet sich nur in der Literatur.
Kommentare
"Außer Kontrolle"
Sie schreiben und geben damit eine Meldung der BILD am Sonntag vom 12. Februar 2012 wider:
»Bereits im Februar wurde bekannt, wie das Bundeskriminalamt (BKA) die Auswertungsstelle der Bundespolizei anwies, Daten der Mobiltelefone eines NSU-Vertrauten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu löschen. Bis heute ist dieser Fall nicht aufgekärt.«
Die Sache ist inzwischen aufgeklärt - es handelte sich um eine echte »Ente« der Zeitung »BILD am Sonntag«, wie hier nachzulesen ist: »Der BKA-Nazi-Lösch-Skandal, der keiner war« auf http://www.bildblog.de/
Offenbar ist bei der NSU-Berichterstattung auch so manche Gazette »außer Kontrolle« geraten.
Korrektur
Vielen Dank für die Korrektur, diese konnte leider noch nicht in den Beitrag einfließen, da die Information ja jüngeren Datums als der Beitrag ist.
Sicher werden in der Berichterstattung Fehler gemacht und leider ist es schwierig, alle Informationen zu überprüfen. Dennoch wäre es sinnvoll gewesen, wenn in dieser Sache früher eine schlüssige Gegendarstellung erfolgt wäre. Mir leuchtet trotz des Urteils auch noch immer nicht ein, warum die Daten gelöscht werden sollten. Auch bei der GDP-Meldung wird die Rechtslage nur gestreift.
Insgesamt sind in diesem Falle von Anfang an viele Meldungen veröffentlicht worden, die auf wackligen Beinen standen. Das liegt teils an der Fülle der Informationen, teils an der Komplexität der Thematik, teils schlicht an magelhafter Recherche.
Bananenrepublik
Die Gegendarstellung sagt allen Ernstes aus:
»Die Daten habe ich von meinem Arbeitsplatz in den Trash-Ordner verschoben, sie blieben also bei der Bundespolizei vorhanden. Ich habe sie nicht gelöscht.«
Interessanterweise würde ein führender Kopf der Bundespolizei hinter der Lösch-Meldung stehen. Er hätte die Annahme gehabt, dass das BKA einen Informanten schützen würde. Focus: „Heinz-Dieter M., Abteilungsleiter im Potsdamer Präsidium, hatte gegenüber ranghohen Beamten des Ministeriums offiziell den Verdacht geäußert, das Bundeskriminalamt (BKA) könne einen Informanten ‚im Umfeld des Trios’ geführt haben (…)“
Eigentlich sollte man diesen mutigen »whistle-blower« dankbar sein, dass er an die Öffentlichkeit gegangen ist und die Löschung bei der Bundespolizei dadurch hoffentlich verhinderte. Stattdessen wird er wohl bald versetzt werden, wie der Chef der Thüringer Zielfahndung, der den ähnlichen Verdacht ja hegte.
Unklar
Bislang lässt sich aus den Medienberichten der Vorgang nicht rekonstruieren. Unklar bleibt, ob diese Löschung rechtmäßig und üblich war oder nicht. Ich habe das Urteil z.Z. nicht vorliegen, das darüber aufklären könnte.
Selbst wenn die BamS hier zurückrudern musste, bedeutet die einstweilige Verfügung nicht zwangsläufig, dass bei der Löschung, die es ja zweifelsfrei gab, alles mit rechten Dingen zuging. Andersherum kann der Abteilungsleiter natürlich auch falsch gelegen haben.
Für die Frage, ob die Löschung rechtmäßig war, ist unerheblich, ob die Daten an anderer Stelle vorliegen oder nicht. Im Zweifel ist die Rechtslage hier schwammig. In dem von der GDP erwähnten Paragraphen aus dem Bundespolizeigesetz heißt es:
In einem laufenden Ermittlungsverfahren wäre demnach die Löschung nicht zulässig. In dem anderen von der GDP angeführten Pararaphen aus dem Bundesdatenschutzgesetz steht:
Was nun immer »für eigene Zwecke« bedeuten soll, scheint dies die Rechtfertigung der Löschung zu sein. Entscheidener ist jedoch die Frage, ob diese Löschung gängiger Praxis bei dieser Behörde entspricht, oder ob man sich hier mit schwammigen Paragraphen exkulpiert. Von der Rechtfertigung, die Daten müssten an einem Ort konzentriert werden (»Dislozierung«), steht in diesen Paragraphendschungel aber nichts. Nichtdestotrotz ist das Verhältnis von Datenschutz und Datenaufbereitung offenbar in der deutschen Gesetzgebung sehr uneinheitlich oder zuweilen gar widersprüchlich geregelt.
Freilich hat die BamS mit ihrer reißerischen Berichterstattung ein Eigentor geschossen, obwohl ich bei fraglichen Leaks im Zweifel für die Veröffentlichung plädieren würde – nur mit einer vorsichtigeren Darstellung der Fakten. Tatsächlich besteht in Deutschland eine zu geringe Wertschätzung des Whistleblowers. Die Veröffentlichung von Leaks ist zumeist mit Fehlern konfrontiert: Besser diese werden korrigiert denn die Information der Öffentlichkeit vorenthalten.
Ganz klar
Das ist gar nicht so schwierig, wie es scheint.
Die Ermittlungen führt der Generalbundesanwalt, als seine Hilfsbeamten fungiert das BKA. Das BKA muss dafür alle Beweismittel erheben und darf sie auch speichern. Die Bundespolizei leistet dem BKA nur technische Amtshilfe (wie der Schlüsseldienst die Tür für den Gerichtsvollzieher oder die Polizei öffnet) und darf deshalb das, was sie für das BKA sichtbar macht, selbst nicht speichern und verwerten. Denn die Ermittlungen gegen Terroristen selbst gehören nicht zum durch Gesetz fetstgelegten Aufgabenkreis der Bundespolizei, sondern nur zu dem des BKA. Deshalb darf BKA speichern, Bundespolizei nicht.
Das Gesetz sagt das in § 29 Abs. 2 BPolG so: »Die Bundespolizei kann, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, personenbezogene Daten, die sie bei Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung über eine einer Straftat verdächtige Person erlangt hat, in Dateien speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Abwehr von Gefahren im Rahmen der der Bundespolizei obliegenden Aufgaben oder für Zwecke künftiger Strafverfahren wegen Straftaten im Sinne des § 12 Abs. 1 erforderlich ist«. Terrorermittlungen und Mordermittlungen gehören nicht dazu und sind auch keine eigenen Zwecke der Bundespolizei (sondern solche des BKA, für beide Polizeien gelten eigene Gesetze), eine Speicherung bei der Bundespolizei ist daher nicht statthaft. Deshalb greift § 35 Abs. 2 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz: »Personenbezogene Daten sind zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist.«
Und das ist seit Jahr und Tag so, weil es Recht und Gesetz ist. Das BKA hat das auch sehr eindeutig gesagt (http://www.bka.de/nn_233148/DE/Presse/Pressemitteilungen/Presse2012/120212__RichtigstellungVernichtungBeweismittel.html).
Das Gesetz sorgt so dafür, dass die Speicherung personenbezogener Daten (die ja in das Recht der informationellen Selbstbestimmung eingreift, das auch für einen straftatverdächtigen Menschen gilt) auf das notwenigste Maß beschränkt bleibt und nicht noch tausende andere Stellen, die selbst mit dem Strafverfahren nicht befasst sind, sondern nur technische Hilfe leiten, auch noch Daten zu Personen speichern. Man darf dabei nicht vergessen, dass es hier nicht um »NSU-Sonder-Gesetze« geht, sondern die Regeln für alle Fälle gelten, auch wenn einmal Unschuldige verfolgt werden sollten, die dann zügig ihre Daten löschen lassen wollen, statt selbst fahnden zu müssen, wo sie noch überall verspeichert sind.
Hier scheint es auch nicht um einen mehr oder weniger mutigen Whistleblower wie Mr. Manning, sondern - wie der selbst an Whistleblowern interessierte Focus schrieb - um einen hochbezahlten Wichtigtuer mit blühender Fantasie zu gehen, der dazu womöglich auch noch selbst kriminell wurde. Auch sowas soll es ja geben.
Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information - aber auf echte, nicht auf frei erfundene, wie bei dem BamS-Artikel.
Daher mein Dank an BILDblog.de.
Teils wolkig, teils klar
Vielen Dank für diese kompetente Rechtsauslegung: Sie erkennen einen zwingende Rechtspflicht zur Löschung der Daten zu diesem Zeitpunkt, die das BKA jedoch in seiner Pressemitteilung vom Februar vermissen ließ.
Einige Presseberichte teilten ja im Februar die Auffassung kund, die Bundespolizei müsse die Daten bis zum Ende des Verfahrens vorhalten. Dies ist Ihrer Darstellung zufolge falsch, vielmehr müssen die Daten nach Abschluß der Rechtshilfe gelöscht werden.
Warum aber waren die Daten »nach der Löschung noch bei der Bundespolizei vorhanden« (Einstweilige Verfügung nach Bildblog), wenn die »Speicherung unzulässig ist« (Bundesdatenschutzgesetz)? Die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Speicherung unzulässig ist bzw. wird, geht aber offenbar aus dem Bundespolizeigesetz nicht eindeutig hervor, sondern obliegt einem gewissen Interpretationsspielraum, explizit sofern die Nutzung der Daten »erforderlich ist«.
Den Beiträgen ist zu entnehmen, der Abteilungsleiter in Potsdam habe entweder böswillig oder in völliger Unkenntnis der Rechtlage sowie der Praxis gehandelt.
Wieder heiter
Nun, es handelte sich gar nicht um »Handydaten«, wie BamS berichtete (die bleiben ja auf dem Handy), sonden nur um Image-Dateien, also lediglich um deren Abbild wie ein Foto oder eine Kopie vom Kopierer. Dass dieses Abbild noch vorhanden und (entgegen der Rechtslage) nicht endgültig gelöscht waren, könnte mit den Fantasien jener Auslösendn Person zu tun haben, über die der Focus berichtete.
Der Zeitpunkt der Unzulässigkeit eine (weiteren) Speicherung ergibt sich aus dem Zweckwegfall: ist die technische Amtshilfe beendet, ist der Erhebungs- und Zwischenspeicherungszweck beendet und damit eine weitere (Zwischen-)Speicherung nicht mehr zulässig, weil es keine darüber hinausgehenden »eigenen Zwecke« der Bundespolizei gibt, für die die Dateien relevant und speicherungswürdig wären, sonden nur (Ermittlungs-)Zwecke des BKA und des Generalbundesanwalts.
"Fantasien"
Als »Fantasie« bezeichnen Sie offenbar den Verdacht des hochrangigen Bundespolizisten, dass das BKA einen Informanten mit dem Lösch-Aktion schützen hätte wollen.
Woher kommt diese Ihre Annahme, dass der Bundespolizist fantasiere - kennen Sie die Handydaten?
Falls nein, dann ist die Frage, woher der Verdacht des Bundespolizisten her-rührt - kannte er vielleicht das Abbild der Handydaten? Fürchtete er, wenn das Abbild erst-mal gelöscht wäre, das BKA / Generalbundesanwalt an dem Original manipulieren könnte?
Das wäre dann sehr wohl ein »eigener Zweck.«
Ja, offenbar: Fantasien
Den »Verdacht« des hochrangigen Bundespolizisten bezeichnete nicht ich, sondern der »Focus« als Fantasien. Der Mann, den der Focus hier nennt, ist noch nie mit Ermittlungen befasst gewesen, sondern reiner Polizeitechniker, der dann als Autodidakt in das IT-Fach wechselte. Der Generalbundesanwalt hat ihn zu seinen Mutmaßungen vernommen, es kam nichts dabei heraus.
Hintergrund der vom Focus dem Beamten zugeschriebenen Inumlaufbringung der Fantasien könnte freilich auch sein, dass die IT-Zentren von BKA und Bundespolizei fusionieren sollen - und Platz ist da immer nur für einen Chefsessel… Wenn der Mitbewerber schlecht aussieht, vergrößern sich immer die eigenen Chancen.
Und selbst wenn jemand meinte, sich zum »Controller« von BKA und Generalbundesanwalt aufspielen zu müssen - eine Legitimation aus dem Gesetz hätte er dazu nicht. Wo kämen wir hin, wenn jeder, der gegen staatliche Stellen Misstrauen hegt, höchst vorsorglich seine Privat-Speicher mit personenbezogenen Daten anderer Menschen oder aus Strafermittlungsverfahren füllt?
Der »eigene Zweck« in § 29 BPolG bezieht sich auf die gesetzlich abschließend festgelegten Aufgaben der Bundespolizei, und zu denen gehören weder Mord- noch Terrorermittlungen und auch keine Ermittlungen über Verdächtigungen zur Fälschung beweiserheblicher Daten oder andere IT-Delikte. So ist nun mal das Gesetz.
Wenn der Focus-Beamte einen substantiierten Verdacht gehabt hätte, wäre er jedoch auch nach dem Gesetz (§ 163 StPO) zur Anzeige verpflichtet, sonst beginge er selbst Strafvereitelung im Amt. Das er solches offenbar nicht beanzeigte, spricht für sich.
By the way: woher kommt Ihre mitschwingende Annahme, dass der vom Focus angesprochene Beamte nicht fantasieren würde? Aus der BamS? Warum sollte dann aber das Landgericht Berlin der BamS die freie Erfindung der Story attestieren? Weil auch die Pressekammer Teil eines Mega-Komplotts zur Vertuschung von - ja, was eigentlich? - sein soll?
Irgendwie erinnert mich das ganze mitschwingende Verschwörungsszenario, dass das BKA mit Nazis gemeinsame Sache gemacht hätte und deshalb Spuren zu verwischen wären, an die Entstehungsgeschichte und Verselbstständigung der widerlichen »Protokolle der …«.
persönliche Vernichtung von "whistle-blower"
1. Seltsam, wie genau Sie wissen, dass der Bundespolizist fantasierte hätte. Dabei gibt es schon Anhaltspunkte, dass an dem Verdacht gegen Andre E. etwas dran sein könnte:
»Wie die Berliner Zeitung erfuhr, hatte zuvor das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz versucht, wichtige Informationen über E. zurückzuhalten. Deren Präsident Reinhard Boos teilte vor drei Monaten noch mit, dass …
“… E. im Informationssystem seines Amtes lediglich als Teilnehmer eines rechtsextremen Konzertes im Mai 2011 in Mecklenburg auftauche. Mehr Angaben zu ihm habe man nicht.”
Tatsächlich aber war E. eine solch wichtige Figur in der Neonazi-Szene, dass das …
“… LfV ihn in den letzten Jahren dreimal ansprach, um ihn als V-Mann anzuwerben. In der geheim tagenden Kontrollkommission des Landtages gab LfV-Präsident Boos vor wenigen Wochen [Erscheinungsdatum des Artikels: 13.02.2012] allerdings an, dass keins dieser Werbegespräche erfolgreich gewesen sei (Quelle: BZ).
Die Berliner Zeitung weist darauf hin, dass ein solches behördliches Vorgehen, “dem Schutz von Informanten” dienen könnte.
http://friedensblick.de/1046/nsu-wesentliche-ungereimtheiten/
2. Es ist bekannt, dass unbequeme Aussagen von mutigen Informanten, »whistle-blower« angegriffen werden, indem sie als charakterlose Lügner mit egoistischen Motiven dargestellt werden.
Das erkennt man beispielsweise an der Kampagne gegen Oberstleutnant Anthony Shaffer. Er kam von der Einheit, die die Terrorzelle um Atta 2000 identifiziert hätte, aber nicht aufliegen lassen durfte. http://www.911-archiv.net/Vorwissen-Warnungen/die-qable-dangerq-sabotage.html
Es macht verdächtig, dass sich die Kampagnen ähneln, als ob sie einem Drehbuch entspringen: Siehe Verdächtigungen gegen den Bundespolizisten, oder gegen den abgesägten Thüringer Zielfahnder, oder die Angriffe gegen den ehe. Mitarbeiter des US-Geheimdienstes »DIA«, der das DIA-Protokoll betreffend des Kiesewetter-Mordes bekannt machte:
»Die Verfassungsschutz-Ämter und die Generalbundesanwaltschaft dementieren, man habe “keinerlei Anhaltspunkte” dafür, dass zum Tatzeitpunkt US-Agenten oder Verfassungsschützer am Tatort gewesen seien (Quelle: n-tv).
Anfang Juni 2012 greift der SZ-Redakteur Herr Leydendecker die Quelle des nach seiner Meinung“dubiosen Papiers” an, es handelt sich um einen früheren deutschen Mitarbeiter des US-Nachrichtendienstes. Leydendecker stützt sich auf Aussagen von US-Geheimdienstmitarbeitern sowie der US-Botschaft und schreibt, dass der Mitarbeiter verdächtigt sei, eine “aufsehenerregende Legende” verbreitet zu haben, er hätte außerdem einen “schlechten Ruf”. Leydendecker vermittelt indirekt den Eindruck, der ehemalige Mitarbeiter sich mit seiner Aussage in den Vordergrund hätte spielen wollen, um einen Job als “Persönlicher Referent in Sachen Nachrichtendienste” bei einem Bundestagsabgeordneten zu ergattern (Quelle: SZ).
Presseverarschung durch "whistle-blower"
So ist das eben mit Verdächtigungen: sie können beweisfrei geäußert werden.
Sie wollen dem Fantasten Beweiswert zuschanzen und verdächtigen dazu das BKA (»…etwas dran sein könnte«), einen Informanten schützen zu wollen und dazu - in gemeinsamer Sache mit dem Generalbundesanwalt, der Bundespolizei, der Pressekammer des Landgerichts Berlin, allen Medien (außer der unbeugsamen BamS) und wer weiß, wem noch alles - Beweismittel aus einem Strafverfahren zu vernichten und jeden, der darüber spricht, mundtot zu machen.
Ihre Verdächtigungen stützen Sie auf das Versagen von Geheimdienststellen - wenn die schon Mist bauen, dann darf man sich das getrost auch für die Strafverfolgungsbehörden zur Unterstellungsregel machen. Das funktioniert dann so: Sie äußern einen verschwörungstheoretischen Verdacht ohne jeden Beweisansatz, und BKA, Generalbundesanwalt,… können den ja gern entkräften. Was, die können nicht beweisen, dass sie nicht manipuliert haben? Na, wenn das nicht zum Himmel stinkt… Das ist das Strickmuster, nach denen der Mossad das World Trade Center angegriffen haben soll.
Es gibt »whistle-blower«, die haben tatsächlich auch etwas mitzuteilen - und können dafür auch hieb- und stichfeste Belege liefern. Und es gibt »whistle-blower«, die haben außer einer privaten Spekulation nichts in der Hand und wollen sich nur wichtig machen, die Welt ist voll von solchen Typen. Solche Typen fliegen regelmäßig auf, und wenn es vor Gericht ist wie hier, wo das Urteil lautete »frei erfunden«. Glauben Sie, die BamS ließe sich so vorführen, wenn sie auch nur einen Beweiszipfel hätte von ihrem »whistle-blower«?
»Persönlich vernichtet« in seiner Ehre durch den erfundenen BamS-Beitrag sah sich wohl eher der dort angepisste Bundespolizist und ging vor Gericht, um in öffentlicher Verhandlung das Gegenteil klarstellen zu lassen, was wohl kaum jemand täte, der Teil eines Vertuschungskomplotts sein soll, das Sie mutmaßen.
Umgang mitn Whistle-Blowers
Mich wundert es nicht, dass sich nur wenige mutige »Rädchen im Getriebe« trauen, Zivilcourage zu zeigen, und ihre Zeugen-Aussagen in die Öffentlichkeit tragen.
Bereits jetzt, nur nach einem 3/4 Jahr NSU-Aufarbeitung, kann ich bereits 3 konkrete Beispiele geben, wo das korrupte System Informanten bekämpfte, versetzte, Beweise zerstörte, dementieren und Informanten keine Relevanz zusprach.
Schließlich treten Rammböcke auf, die gezielt den Ruf der Informanten zerstören, indem sie -infamerweise- sie selbst der Korruption bezichtigen.
Schließlich kommen hämische Hinweise, es gäbe ja kaum Informanten aus dem System, die »Verschwörungstheorien« bestätigen würden.
Stattdessen müssten in einem sauberen System die Informanten von Untersuchungsausschüssen eingeladen werden und ggf. vom Bundespräsidenten mit einem Verdienst-Orden ausgezeichnet werden.