Presseschau Beitrag

Sabotage oder Scheitern?

Berichte zu nicht verfolgten Spuren geben dem NSU-Fall eine neue Dimension
Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft ermitteln mit allen Mitteln gegen rechten Terrorismus
Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft ermitteln mit allen Mitteln gegen rechten Terrorismus Bild von buck82

Ein halbes Jahr ist mittlerweile seit der Aufdeckung des rechtsradikalen Terrorismus des NSU in Deutschland vergangen. Seitdem wurden viele Mosaiksteine des Falls enthüllt. Doch in diesem Prozess bleibt unklar, inwieweit die zumeist geheimen Informationen gezielt in den Medien lanciert werden, hier also eine gezielte Indiskretionspolitik betrieben wird, oder ob es sich um einen Versuch handelt, nachträglich Transparenz herzustellen. Umstritten bleibt auch die Frage nach den Gründen für das Scheitern der Ermittlungen. Zwei Berichte, die bei der Süddeutschen Zeitung1 und bei Frontal21 erschienen, erweitern das Augenmerk auf die Blindheit der Ermittlungsbehörden um eine neue Dimension.

So lassen Thomas Reichert und Ulrich Stoll im ZDF in nachgestellten Szenen erkennen, daß trotz eindringlicher Zeugenaussagen die Spur zu zwei Radfahrern an den Tatorten entgegen jeder Professionalität fahrlässig ignoriert wurde. Der Beitrag vermittelt den Eindruck, Spuren seien – auch über die Perspektive des nachträglichen Wissens hinaus – ungenügend verfolgt worden. Eben mit dieser Fragestellung beschäftigt sich auch die Süddeutsche Zeitung: So zeige ein internes Auswertungsschreiben über die Arbeit der »Soko Bosporus« die Zerstrittenheit der verschiedenen Ermittlungsbehörden. Demnach haben gerade fränkische Staatsanwälte und Ermittler mit nachdrücklicher Vehemenz der Spur zu Fahrradfahrern und in die rechte Szene entgegengewirkt.

Kommentar

Die Süddeutsche Zeitung deutet diese neuen Erkenntnisse dahingehend, daß sie eher für ein Versagen der Behörden denn für deren Verstrickung sprechen. Dabei sollte jedoch bedacht werden, daß diese beiden Aspekte sich keineswegs widersprechen. Vielmehr sind verschiedene Szenarien denkbar, insbesondere, wenn zahlreiche Akteure in den Fall involviert sind. So muß eine Verstrickung nicht zwangsläufig eine Lenkung beinhalten, sondern kann auch ein Wegsehen der einen Behörde bedeuten, während die andere begünstigt und die dritte auf falsche Fährten recherchiert oder geschickt wird. Wieder einmal wird jedoch nicht in alle Richtungen ermittelt. Weiterhin bleibt nicht nachvollziehbar, warum eine Spur aktiv übersehen worden ist: Daß die Eitelkeit einzelner Behörden das Leitmotiv war, ist nicht mehr als eine Hypothese.

Eine bedeutendere Spur ist bislang kaum verfolgt worden: Die Indizien für die Einbindung des NSU in ein bundesweites rechtes Netzwerk haben in den vergangenen Monaten neues Futter bekommen: Sowohl im Rheinland als auch in Mecklenburg wurde der NSU auf Flugblättern und in Postillen gegrüßt, um nur zwei Bespiele zu nennen. Dies deckt sich mit Zeugenaussagen, der NSU sei in der westdeutschen Naziszene geradezu berühmt gewesen. Daher ist in Verbindung mit weiteren Spuren eindeutig belegt, daß die NSU im gesamten Bundesgebiet über Mitwisser und Sympathisanten verfügte – im staatlich bestens überwachten Umfeld der NPD und der Kameradschaften. Die Grenze zwischen einem Scheiten der Ermittlungen und Sabotage ist daher schwer zu fassen.

  • 1. Der vollständige Beitrag unter dem Titel »Neben der Spur. Anatomie eines Staatsversagens« ist nicht online erschienen, sondern in der Süddeutschen Zeitung vom 5.5.2012

Kommentare

Blindheit? Eher Absicht!

Ich glaube ehrlich gesagt nicht daran, dass die NSU ein Produkt der »Unfähigkeit« unserer Geheimdienste ist und dass es sich um Pannen handelt…

http://www.peer-spektive.de/aktuell/der-braune-sumpf-er-stinkt-zum-himmel