Magazin Beitrag
Eine feste Burg
Da haben sie allesamt, diese Europäer, in Afrika gespielt, haben sich den schwarzen Kontinent in Scheibchen geschnitten, gegenseitig die herausgetrennten Stücke zugeschustert und abgeluchst, sich als Kolonialmächte zu Weltruhm geleiten lassen - und nun wollen sie von Afrika nichts mehr wissen.
Damals, als ihnen Afrika noch am Herzen lag, da nannten sie sich noch nicht »EU«, die Briten, Franzosen, Spanier, Italiener, Belgier, Portugiesen und Deutschen. Jetzt nennen sie sich so und glauben tatsächlich, sie könnten unter dem Namen, unter dem sie nun firmieren, allerlei historische Verantwortlichkeit von sich weisen.
Man habe doch die Kolonien aus ihrem Status entlassen, entschuldigen sie sich. In die Unabhängigkeit entlassen, schieben sie dann nach. Dabei war es ein Wechsel des Jochs - der Kolonialherr war irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Mode; er legte Gerte und Tropenhelm ab, warf sich in einen flotten Anzug mit Binder, nannte sich fortan Geschäftsmann oder Manager und trieb sein Unwesen nicht mehr mit der mitgebrachten Armee aus seiner Heimat, sondern kaufte sich Armeen vor Ort. Unabhängigkeit bedeutete häufig nur, dass man etwaige afrikanische Regimes stützte, sie mit Waffen belieferte, Volksaufstände durch sie unterdrücken ließ, damit auch weiterhin in aller Seelenruhe Erdöl, Diamanten, Gold oder Kakao zu Selbstkostenpreisen an- oder abgebaut werden kann. Unabhängigkeit nach dem kolonialen Zeitalter hieß auch, dass afrikanische Eliten fortan unabhängig unterjochen und unterdrücken durften - die europäischen Herrn, sie gaben nur hie und da Ratschläge und sorgten dafür, dass der ganze Zirkus, der nun antikolonial betrieben wurde, hinter einem freundlichen Anstrich verschwand.
Nun flüchten Nordafrikaner in großer Zahl über das Mittelmeer und die »Festung Europa« wird abermals zum Schlagwort. Sich aus der Verantwortung stehlen, so ließe sich »Festung Europa« auch übersetzen. Erst einen Kontinent kirre machen, alle sozialen Gefüge und Systeme aushöhlen, absorbieren, zerschlagen, Volksstämme gegeneinander aufhetzen, sie ihres Landes berauben, sie zu verschleppen, sie in Kriege zu schicken, die sie nie etwas angingen, ihnen eine Kultur aufzwängen, die heute noch einen bizarren Synkretismus aus Moderne und Kult, Wissenschaftlichkeit und Aberglaube befördert - und danach den Kontinent liegenlassen, ihn aus der Ferne steuern und lenken, ihn sich weiterhin gefügig und mittels Schuldknechtschaft an der kurzen Leine halten. Und dann käme erneut ein Augenblick, der Europa Verantwortung abnötigte und die einzelnen Nationen winken ab und sagen: Wir nicht, wir haben schon genug Asylanten! Und überhaupt, wir lassen aus Berlin, London und Paris unsere besten Unternehmen dorthin ausschwärmen - dann haben wir eine Win-win-Situation: unsere Unternehmen stellen billigst her und die Leute dort sind beschäftigt, sind in Lohn und... »Brot« sagen sie dann schon nicht mehr, damit es nicht allzu lächerlich wird.
Das Outsourcen der Verantwortlichkeit, wenigstens der Mitverantwortlichkeit, ist ja nichts, was nun als Erkenntnis reifte, da Nußschalen aus Tunesien oder Ägypten herüberschwappten. Man ist darin geübt. Das geht damit los, das die profanen Staatsregierungen Europas und deren Vasallen von Print und Broadcast, die Schuld wegen der Ausbreitung des HI-Virus, alleine der katholischen Kirche und ihrem päpstlichen Hardliner in die Schuhe schieben wollen - dass die weltlichen Kolonialherren einst große Stücke auf das Christentum hielten, weil es im Kern die Lehre der Zähmung und Zufriedenstellung ist, wird nicht als Wahrheit erachtet, die ein Stück Mitverantwortlichkeit bereithielte. Hält dann der Völkermord Einzug, wie damals in Ruanda, wo sich zwei Volksgruppen gegenüberstanden, die einst von den Europäern gegeneinander ausgespielt wurden, dann berät sich Europa und die Welt wochenlang darüber - nicht darüber, Einsatztruppen zu senden: nein, darüber wann ein Völkermord ein Völkermord ist! Denn wäre es keiner, würde man ja vielleicht ganz verfrüht Hilfe senden…
Afrika ist nur als Wirtschaftsfaktor spannend; Afrikaner nur als billige Arbeitskräfte und als Kunden und Käufer irgendwelchen zivilisatorischen Schnickschnacks. Arbeitskräfte billiger Art hat man in Europa zunehmend selbst; Kunden ohnehin - daher zieht man die Festung hoch, installiert noch mehr Zäune und sorgt dafür, dass noch mehr Flüchtlinge im ungemütlichen Wellengang und bei schöner mediterraner Brise ersaufen. Eine fest Burg ist unser Gott! Unser Gott Profit, unser Gott freier Markt, unser Gott Ausbeutung! Man macht die Schotten dicht und bastelt zeitgleich an der Beschneidung etwaiger Freiheitsrechte innerhalb Europas: denn zur Festungsmentalität gehört auch, dass sich die Insassen der Festung eingesperrt und ihrer Freiheit beraubt fühlen, erschlagen von dicken, grauen Mauern. Dass diejenigen, die an die Mauern klopfen, letztlich auch Produkte einer großmannssüchtigen Politik Europas sind, Produkte von Verwerfungen, die die europäischen Gesellschaften seit vielen Jahrzehnten in Afrika verursacht haben, wird innerhalb der Festung nicht laut ausgesprochen… warum auch? Denn die Festungsinsassen müssen ja gegen die Festungsstürmer in Stellung gebracht werden.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich bei ad sinistram.