Magazin Beitrag

Für Ruhe und Ordnung

In Ägypten gehen Islamisten und Militärs gemeinsam gegen die Protestbewegung vor
Demonstration am 23.07.2011
Demonstration am 23.07.2011 Bild von Hossam el-Hamalawy

Die Auseinandersetzungen in Ägypten nehmen im Vorfeld der anstehenden Parlamentswahlen wieder deutlich zu. Doch verlaufen die Konfliktlinien nicht mehr so eindeutig wie noch zu Beginn der Revolution. So fanden sich am 29. Juli zehntausende Menschen auf dem symbolträchtigen Tahrir Platz ein. Dazu aufgerufen hatten religiöse Gruppen wie die Muslimbrüder, die An Nur-Partei (Licht bzw. Erkenntnispartei) der Salafisten und die Al-Gama Al-Islamiyya. Der Blog Kalima berichtet ausführlich darüber und kritisiert die einseitige Berichterstattung vieler internationaler Medien, die in diesem Zusammenhang ein zweites Iran herbeifabulierten.

Entgegen der Absprache mit den liberalen und säkularen Gruppierungen schallten Sprechchöre über den Platz, die u.a. die Einsetzung der Scharia forderten. Zudem gab es Drohungen gegen Frauen, Liberale und Linke. Beobachter sprachen von einer Übernahme des Platzes durch die islamistischen Gruppen. Säkulare Gruppen verließen daraufhin zeitweilig den Platz. Die Demonstration, als Zeichen der Stärke und Einigkeit der islamischen Bewegung gedacht, offenbarte aber zugleich eine tiefe Zerrissenheit innerhalb der Muslimbruderschaft. Während der Kundgebung versuchten junge Teilnehmer die Sprechchöre zu unterbinden und die Situation zu schlichten.

Die Deutsche Welle geht in einer Reportage näher auf die Strukturen der Bruderschaft ein. Diese fungierte lange Zeit als Sammelbecken verschiedener islamischer Strömungen, das durch den Druck des Mubarak-Regimes zusammengehalten wurde. Das offizielle Sprachrohr der Bruderschaft ist die Partei »Freiheit und Gerechtigkeit«. Diese versinnbildlicht mit ihren verkrusteten inneren Strukturen und einer offenen Sympathie für das regierende Militär ein autoritäres Modell aus vorrevolutionären Tagen. Für Aufsehen sorgte erst kürzlich  eine von der Bruderschaft finanzierte  äußerst kostspielige Ramadanfeier mit hochrangigen Militärs  in einem Luxushotel. Schmierstoff dieser Allianz sind Begriffe wie Ordnung und Stabilität. Aber auch außenpolitische Erwägungen könnten für diese neue Koalition eine Rolle spielen. Denn wie bekannt wurde, scheinen Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar dem neuem Regime in Ägypten bereitwillig mit Krediten und Investitionen unter die Arme zu greifen. Eine Summe von 17 Milliarden Dollar steht dabei im Raum.

Dagegen fühlen sich junge Mitglieder durch die streng hierarchischen Strukturen und islamisch konservativen Ansichten eingeengt und versuchen sich davon abzugrenzen. Anfang August gründeten daher einige junge Bruderschaftler die Partei “Al-Tiyyar Al-Masri” (Ägyptische Strömung), die sich der verordneten Ruhe widersetzt und weiterhin ihren Protest auf Straßen und Plätze trägt. Die jungen Bruderschaftler verstoßen damit bewußt gegen ein Verbot von weiteren Demonstrationen. Die Bruderschaft selbst reagiert konzeptlos auf ihre innerparteiliche Jugendbewegung. Erst kürzlich wurden fünf Gründungsmitgliedern der “Ägyptischen Strömung” aus der Bruderschaft ausgeschlossen. Viele säkularen Gruppen begrüßen indes die Positionierung in der aktuellen Phase zugunsten der Demonstrationen und Platzbesetzungen.

I hope the Islamist youth, those who defied their leaders’ orders and took part in the uprising, will wake up and know what sort of opportunists run their organizations.

Ziel der Proteste ist die Militärjunta (SCAF - Supreme Council of the Armed Forces), die wichtige Forderungen der Revolution nicht erfüllt hat und durch immer neue Machtdemonstrationen die Wut auf sich zieht. Denn das Militär geht zunehmend härter gegen jene vor, die ihre Machtübernahme erst ermöglichten. Neben den schweren Zusammenstößen Ende Juli mit mehreren hundert Verletzten kam es nun erneut zu Übergriffen durch die Armee. Am 1. August räumte das Militär unter Zuhilfenahme von gepanzerten Fahrzeugen den Tahrir Platz. Zu Beginn des Ramadan hatten zwar viele Menschen den Platz verlassen, doch einige hundert sind zurückgeblieben, darunter viele Familien, die während der Proteste Anfang des Jahres Angehörige verloren hatten. Als Reaktion auf das brutale Vorgehen haben bereits 25 Parteien ihren Protest geäußert und zum “Million-Man-March” am kommenden Freitag aufgerufen.

Sowohl diese großen Demonstrationen als auch die Ergebnisse und der Verlauf der kommenden Parlamentswahlen werden zeigen, wie sich die Demokratiebewegung in Ägypten entwickelt. Bezüglich der Parlamentswahl ergibt sich ein widersprüchliches Bild. So wurde das Mindestalter der Parlamentarier auf 25 Jahre herabgesetzt und die Prozenthürde für den Einzug auf 0,5% reduziert, beides wichtige Forderungen der Protestbewegung. Dagegen wurden internationale Wahlbeobachter durch die Militärjunta ausgeschlossen. Dazu der Politikprofessor Mostafa Kamel El-Sayed gegenüber Ahram Online:

The SCAF has espoused the Mubarak’s regime's discourse that international monitors are against national sovereignty and this is wrong.

Zudem wurde die Abschaffung der Frauenquote im Parlament bekanntgegeben, was Proteste durch eine Vielzahl an Organisationen zur Folge hatte.