Im Zentrum des Geldes
Die »City of London« ist eigentlich nur ein kleiner Flecken Erde, rund eine Quadratmeile Land im Stadtzentrum. Dennoch ist sie von immenser Bedeutung: Hier werden Devisen, Versicherungen und Derivate gehandelt, Börsengänge vorbereitet und etwa 50 Prozent aller weltweiten Aktienkäufe getätigt. All das ermöglichte auch die besondere Stellung innerhalb des britischen Staates. Denn schon seit dem Mittelalter gelten Selbstverwaltungsregeln, die der City einen quasi autonomen Status verschafften. Diese demokratischen Regeln haben sich freilich längst in ihr Gegenteil verkehrt: Unternehmen können bei Wahlen mit abstimmen, entsprechend der Zahl ihrer Angestellten. Damit wurde die Lokalverwaltung zur vielleicht einflussreichsten Lobbyorganisation des Landes. Die gescheiterte Regulierung des britischen Finanzsektors nach der Krise beweist, wie mächtig diese Branche nach wie vor ist.
Aufstand der „Surplus-Bevölkerung“
Als in London Anfang August ein farbiger Mann von Polizisten erschossen wurde und dessen Familie von der Polizei keine Auskunft zu den genaueren Ursachen der Erschießung erhielt, kam es zu spontanen Demonstrationen im Stadtteil Tottenham. Diese eskalierten bald: Zahlreiche Jugendliche legten Feuer, plünderten und zerstörten Geschäfte. Die Reaktion der Polizei war harsch. Der britische Premierminister Cameron sprach von einer moralisch verwahrlosten, anstandslosen Jugend, gegen die man mit kompromissloser Härte vorgehen müsse, Aufnahmen von Tätern wurden auf öffentlichen Großbildleinwänden gezeigt.
Seriöse Ursachenforschung wurde von großen Teilen der Gesellschaft und Medien – auch in Deutschland – nicht betrieben. Ein differenzierteres, wissenschaftlich fundiertes Bild der Ursachen der Gewalteskalation zeichnen der Sozialwissenschaftler und Gefängnispsychologe Götz Eisenberg und der Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer, indem sie die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung aus sozialpsychologischer Perspektive in den Blick nehmen.
Kürzung und Krawall
Mit den Ursachen der Unruhen beschäftigen sich zwei Autoren der Süddeutschen Zeitung: Sie erkennen in ihrer quellenreichen Analyse einen Zusammenhang zwischen dem umfassenden Sparpaket der Regierung Cameron und der sozialen Armut in migrantisch geprägten Bezirken. Ein Parlamentarier hatte auf die Gefahr hingewiesen, daß die gekürzten Sozialbudgets zu einem Rückfall in die 1980er-Jahre führen könnten, in denen London mehrfach von Ausschreitungen betroffen war. London ist eine der Städte mit der größten sozialen Ungleichheit in Europa. Die Plünderungen deuten darauf hin, daß die Jugendlichen auf diese Weise das Konsumversprechen einlösen, von dem sie ansonsten ausgeschlossen sind. Das Sparpaket der britischen Regierung ist der größte Haushaltseinschnitt in Westeuropa, der bereits seit längerem zu radikalen Protesten von verschiedenen sozialen Gruppen – wie Studenten – geführt hat.
Meine Stadt, Deine Stadt
Ein Trend eint viele europäische Metropolen: Künstler nutzen brachliegende oder verarmte Stadtviertel als günstigen Wohn- und Arbeitsraum. Durch den kreativen Charme werden diese Quartiere für Investoren erst interessant. Deren Spekulation mit und Investitionen in den Stadtraum führen zu sprunghaften Mietsteigerungen. Am Ende können sich weder die Künstler noch die ansässige Bevölkerung die Mieten noch leisten. Die Künstler ziehen in ein anderes Viertel und das Spiel beginnt von vorn. Claudia Dejá hat auf Arte in einer knappen Stunde einen Vergleich zwischen London, Paris, Hamburg und Berlin gezogen. Dieses als Gentrifizierung bezeichnete Phänomen wird zur Zeit heiß diskutiert. Der Beitrag ist anschaulich, läßt jedoch analytische Tiefe vermissen. Weiterlesen … »
Schatten in der Dunkelkammer
Die City of London ist der Ort, an dem viele Hedge Fonds ihre Einlagen handeln, während ihr Sitz in Steueroasen ist. Bisher sind Regulierungen und Transparenzgebote an deren Widerstand und Einfluß gescheitert. Doch die Vorhaben der Regierungen auf dem Kontinent in Paris und Berlin lassen die Fonds befürchten, ihr »Agieren im Dunkeln« könne ein Ende haben, wie die Financial Times Deutschland berichtet. Der Londoner Finanzmarkt hat bisher einen bedeutenden Anteil des Bruttoinlandsprodukts und somit der Steuern in Großbritannien erwirtschaftet. Diesen Hebel wollen sie einsetzen, um in London Druck auszuüben.
Die größte Bedrohung für Londons Finanzzentrum ist nicht die Krise selbst, es ist die Welle der Regulierung, die als Antwort darauf von allen Seiten auf uns zurollt.
– Anthony Browne, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche Entwicklung des Londoner Bürgermeisters Boris Johnson
Polizeiübergriff mit Todesfolgen
Spiegel Online berichtet mit Berufung auf den Londoner Guardian über neues Videomaterial zum Tod des Londoner Zeitungsverkäufers Ian Tomlinson. Danach wird sichtbar, daß dieser vor seinem Tod von einem Londoner Polizisten brutal zu Boden geworfen wurde. Zuvor hatte Scotland Yard offenbar versucht, den Zusammenhang zu vertuschen und nahm einen Herzinfarkt als Todesursache an. Eine zweite Obduktion geht dagegen von inneren Blutungen als Todesursache aus. Weiterlesen … »