»Projektionsfläche für alles, was schiefgeht«
In den vergangenen Jahren erschütterte die islamistische Gruppierung Boko Haram das westafrikanische Nigeria mit zahlreichen Anschlägen. Diese richten sich gegen die Polizei und gegen Kirchen, aber auch gegen die UNO. Besonders im vergangenen und in diesem Jahr ist eine wachsende Zahl an Opfern zu beklagen. Die Gruppe agiert sehr geheim und ist daher schwer zu fassen. Thomas Scheen hat sich für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor Ort umgesehen. Der Hintergrund der Gruppe ist umstritten: Die Einen sehen die muslimischen Eliten im Norden hinter dem Terror, die mit der Machtverteilung im Land unzufrieden sind. Die Anderen meinen, die Eliten im Süden wollen die Abspaltung des Nordens betreiben, um die Erdölschätze allein für sich nutzen zu können. Wieder Andere sehen das Netzwerk Al-Qaida hinter der Gruppe. Dagegen spricht die verbreitete Einschätzung, es handele sich nicht um einen religiösen, sondern um einen Machtkonflikt. Wie auch immer – die widersprechenden Sichtweisen zeugen von einem gespaltenen Staat, der von inneren Konflikten zerrissen ist:
»Boko Haram ist zu einer Projektionsfläche geworden für alles, was schiefgeht in diesem Land«, erklärt Sule Bello, der an der Universität von Kano Geschichte lehrt. »Jeder hat eine Meinung zu Boko Haram: die Leute im Süden, die den Norden beschuldigen; die Leute im Norden, die den Süden verantwortlich machen; die Christen, die auf die radikalen Muslime schimpfen und die Muslime, die den Christen koloniale Tendenzen unterstellen.«
Das Recht des Stärkeren
Einige Analysen wollen die Europäische Union gern als friedliches Imperium verstehen. Denn der Staatenbund verfügt über kein eigenes Militär, sondern übt seine Macht über Handelspolitik aus. Doch diese dient häufig Einzelinteressen wie denen der Agrarindustrie. So zwingt die Union afrikanische Staaten zu niedrigen Zöllen. Diese Agrarpolitik überschwemmt diese Länder mit billigen, weil subventionierten Produkten aus Europa, so daß die heimische Produktion leidet oder eingeht. Freihandel ist somit auch das Recht des Stärkeren. Armin Paasch, Referent für Welthandel und Ernährung beim katholischen Hilfwerk Misereor kritisiert insbesondere das Partnerschaftabkommen EPA, das die Streichung von Einfuhrzöllen bei der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas vorsieht. Bislang ist die Ratifizierung am Widerstand in den meisten Staaten gescheitert. Auch von Seiten der UNO wird die europäische Handelspolitik kritisiert.
Forciert wird die Handelspolitik der EU-Kommission von dem EU-Handelskommissar. Dieser vertritt in erster Linie die Interessen einiger Unternehmen und widerspricht entwicklungspolitischen Zielen. So bleiben die europäischen Staaten nicht nur hinter ihren Zielen in der Entwicklungpolitik und bei der Bekämpfung des weltweiten Hungers zurück. Die Handelspolitik torpediert diese Ziele vielmehr noch.
Konservative und Fundamentalisten sind nicht das gleiche
Die ersten freien Parlamentswahlen in Ägypten seit Jahrzehnten endeten im Januar. Der renommierte Nahost-Fachmann Olivier Roy sieht darin ein Aufbrechen der vorherrschenden politischen Kultur der letzten 60 Jahre. Wie zu erwarten war, triumphierten die sog. Islamisten (47% der Stimmen), sprich Kulturkonservative mit religiös unterfütterten politischen Vorstellungen. Weil sie jahrzehntelang vom politischen Geschehen in Ägypten ausgegrenzt wurden, besitzen sie große Glaubwürdigkeit bei den Wählern. Überraschend dagegen ist der Wahlerfolg der Salafisten (24,6% der Stimmen), also Fundamentalisten, die sich an ihrer Vorstellung, wie das Gemeinwesen zu Mohammeds Zeiten ausgesehen haben soll, orientieren. Dass sich diese Gruppe, die eigentlich parlamentarische Demokratie bzw. eine pluralistische Gesellschaft überhaupt ablehnt, gezwungen sieht, an den Wahlen teilzunehmen, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, spricht für die Verankerung demokratischen Denkens in der ägyptischen Öffentlichkeit. Weiterlesen … »
Wenn die Vergangenheit auf der Stelle tritt
Manuela Pfohl hat für den Stern den Prozess gegen Verena Becker am Stuttgarter Landgericht besucht. Herausgekommen ist ein jovialer und unterhaltsamer Bericht. Bei der Verhandlung erkennt die Autorin dagegen kaum Fortschritte. Das liegt auch an dem Mauern der Behörden, das Bundesinnenministerium blockiert auch heute noch die Freigabe der alten Akten. Die Zeugen sind dagegen weniger hilfreich:
Die damals Involvierten widersprechen sich. Manche erinnern sich nicht mehr. Eine Zeugin will partout nicht aussagen, ein anderer kann nicht, weil er inzwischen dement ist und ein dritter fällt ebenfalls aus, weil er bereits verstorben ist. Detailfragen werden gestellt, akribisch seziert und schließlich beantwortet, ohne dass für einen Außenstehenden ersichtlich wäre, wozu das Ganze führt.
Die Welt hat sich seit Prozessbeginn weiter gedreht, das öffentliche Interesse an dem Fall nimmt ab. Einmal mehr scheitert die Aufarbeitung der Vergangenheit der Bundesrepublik. Der Initiator des Prozesses, Michael Buback, protokolliert dennoch fleißig das Geschehen.
Am Rande der Krise
Seit einigen Wochen wird Rumänien von heftigen Protesten erschüttert. Der südosteuropäische Staat reiht sich somit in die Liste der Länder ein, in denen die Folgen der Wirtschaftskrisen zu inneren Konflikten führt. Auslöser der Proteste war eine Gesundheitsreform, die den Rettungsdienst privatisieren sollte. Tomasz Konicz zeigt auf Telepolis jedoch, daß hinter dem Aufruhr der Unmut über ein aufgezwungenes Spardiktat steht, das breite Bevölkerungsschichten weiter verarmen läßt. Die Gehälter im öffentlichen Dienst wurden um ein Viertel gekürzt – ähnlich geht es den Rentnern, die durch Nullrunden bei Inflation faktische Rentenkürzungen hinnehmen müssen. Der Mindestlohn beträgt im »Armenhaus Europas« nur 162 Euro. Die Hoffnungen auf eine Besserung der Lage durch den Eurobeitritt sind insofern erschüttert. Weiterlesen … »
Rückfall in alte Muster?
Die Armee ist traditionell der eigentliche Machthaber Pakistans. Sobald die Politik sich grundlegende Entscheidungen anmaßt und den Einfluß des Militärs beschneiden will, ist der nächste Putsch nicht fern. Auf diesen Punkt sieht die Nachrichtenseite German-Foreign-Policy den Staat zwischen Afghanistan und Indien zusteuern. Der Premier Jusuf Raza Gilani entließ den Militärvertreter im Verteidigungsministerium. Statt einem gewaltsamen Umsturz bevorzugen die Generäle den Übergang zu einer ihnen genehmen Regierung. Im Hintergrund kämpft der Westen mit China um Einfluß in dem Land. Die USA wollen Deutschland in einer Vermittlerposition als Vertreter der Europäischen Union.
Die Bühne des irakischen Ringkampfes ist eröffnet
Kaum hat der letzten amerikanische Soldat den Irak verlassen, bricht der Sturm los: Die fragile Regierung bricht auseinander, kurz darauf explodieren in Bagdad fünf parallele Bomben, die 70 Menschen in den Tod reißen. Beobachter rechneten mit einer Zuspitzung der inneren Konflikte im neunten Jahr nach dem Einmarsch im März 2003 – vielmehr stellt sich aber die Frage, ob die Eskalationsspirale bis in einen erneuten Bürgerkrieg oder gar den Zerfall des Irak reichen wird. In diesem Konflikt ringen innere und äußere Kräfte um die Macht. Der Ministerpräsident Nuri Al-Maliki tritt als Repräsentant der schiitischen Bevölkerungsmehrheit auf, als er nach dem Regierungszerfall seinen sunitischen Stellvertreter Tarek al-Haschemi erfolglos festnehmen lassen will. Dieser floh in die autonome Kurdengebiete, der dritten Partei auf der irakischen Bühne. Doch auch die regionalen Mächte wollen ihren Einfluß geltend machen. Dazu zählen in erster Linie der Iran, der einen großen Einfluß bei den Schiiten hat, sowie dessen Rivalen Saudi-Arabien und die Türkei. Weiterlesen … »